Kreuzstein
Temperaturen lagen um null Grad, sodass die Flocken schwer und groß vom Himmel fielen. Katy stand am Fenster ihres Büros und beobachtete das Treiben. Sie brauchte noch ein letztes Geschenk für ihre Freundin Anna und überlegte, wo sie es am besten besorgen sollte. Es sollte auf jeden Fall etwas für den Nachwuchs sein. Phillip, ein richtig süßer Wonneproppen, war jetzt sieben Monate alt, und sosehr Katy die Freundin um ihren kleinen Sohn beneidete, ihre Situation fand sie alles andere als beneidenswert. Mit Phillips Vater war Anna nur zwei Wochen zusammen gewesen, und als Anna gemerkt hatte, dass sie schwanger war, war er längst über alle Berge gewesen, und sie hatte keine Ahnung, wohin er verschwunden war. Das Kind abzutreiben war für sie nicht in Frage gekommen, und jetzt schlug sie sich so gut es ging als alleinerziehende Mutter durch. Dabei hatte sie noch Glück, dass ihre Eltern ganz in der Nähe wohnten und ihre Mutter sich um den Kleinen kümmerte, während sie arbeitete.
Das käme für mich nicht in Frage, dachte Katy jetzt. Sie wollte erst ein Kind haben, wenn sie in einer stabilen Beziehung lebte und das Kind mit Vater und Mutter aufwachsen konnte. Sie hatte täglich so viele negative Beispiele vor Augen, dass sie in dieser Hinsicht lieber kein Risiko eingehen würde.
Sie blickte auf die Uhr. Die Geschäfte hatten ja noch eine Weile auf, und heute war zum Glück früher Dienstschluss. Einige ihrer Jungs waren von den Eltern zu Weihnachten abgeholt worden, und zwei aus der Gruppe hatte sie in Familien unterbringen können, die sich privat für das Heim engagierten. Katy dachte an die Zeit danach. Jedes Mal nach Weihnachten fingen sie wieder von vorne an. Die Regeln mussten neu eintrainiert, der Stress von zu Hause abgebaut werden. Katy seufzte.
In diesem Moment klingelte ihr Handy. Zu ihrer Überraschung war Malte am Apparat. Er erinnerte sie an die Verabredung von vor zwei Tagen zum Kaffee und schien es plötzlich sehr eilig damit zu haben. Am liebsten wollte er sich sofort mit ihr treffen. Katy überlegte kurz. Anna würde sie auf jeden Fall erst nach Weihnachten sehen, und das Geschenk für Phillip konnte sie zur Not auch noch nach den Feiertagen kaufen. Kurz entschlossen sagte sie zu.
Sie verabredeten sich in einem der größeren Cafés in der Fußgängerzone. Dieses Mal wirkte Malte trotz Gehhilfe viel munterer und frischer als bei der letzten Begegnung, zumal er wesentlich besser angezogen war und nicht mehr so ungepflegt aussah.
Zunächst unterhielten sie sich über die Schulzeit, tauschten aus, was sie über die Klassenkameraden und Lehrer noch wussten. Im Gegensatz zu Malte hatte Katy noch viel Kontakt zu Freunden aus dieser Zeit. Er erzählte ihr, er habe lange in Brasilien und Afrika gelebt, habe sich dort bei einem Unfall eine Knieverletzung zugezogen und sei jetzt wieder nach Deutschland gekommen, um sich operieren zu lassen. Hier schiene ihm die Behandlung doch sicherer zu sein als im Ausland. Katy erzählte ein bisschen von sich, von ihrem Beruf und dem Kinderheim, und nach einer Weile kam es ihr so vor, als ob sich wieder die alte Vertrautheit entwickeln würde.
»Lebst du eigentlich allein?«, fragte sie.
»Leider ja. Aber ich komme zurecht, und eigentlich bin ich mir auch gar nicht sicher, ob ich für eine Zweierbeziehung überhaupt tauge«, erwiderte Malte freimütig.
»Und wo wohnst du, hast du überhaupt noch Kontakt zu jemandem von früher?«
»Nicht wirklich. Meine Mutter lebt nicht mehr, vom Vater weiß ich nichts. Meine Tante ist vor drei Jahren gestorben. Ich habe sie sehr gemocht. Von ihr habe ich sogar etwas geerbt.«
»Wohnst du denn noch in der gleichen Gegend wie damals?«
»Nein, nein. Ich habe eine einfache Souterrainwohnung in einem nicht so noblen Viertel.«
»Jetzt erzähl doch mal genau, wo du dich überall rumgetrieben hast. Bei mir war ja nicht viel. Abi, Studium und jetzt der Job im Heim. Da hast du bestimmt einiges mehr erlebt.«
Malte warf Katy einen nachdenklichen Blick zu, als müsse er abschätzen, was er ihr alles berichten könnte. Zögernd erwiderte er:
»Ich habe ja damals die Prüfungen nicht bestanden und deshalb mein Glück im Ausland versucht.«
»Lehre oder Studium?«
»Diplomprüfungen.«
»Oh, das ist hart. Das war bestimmt nicht leicht für dich. Was hast du überhaupt studiert?«
Malte zögerte. »Maschinenbau«, sagte er schließlich.
»Oh.« Katy schüttelte mitfühlend den Kopf und äußerte ihr Missfallen über
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