Kreuzstein
vorweihnachtlichen Rummel in der Kölner Innenstadt auf sich zu nehmen. Als sie das dritte Schuhgeschäft ansteuerten, stutzte Katy. In der Menge fiel ihr ein Mann auf, der ihr bekannt vorkam. War das etwa Malte, der in der Schule so für sie geschwärmt hatte? Der Mann allerdings, der seitlich versetzt mit einer Gehhilfe neben ihnen herlief, wirkte ein wenig heruntergekommen. Ein alter, zu langer Dufflecoat verbarg den größten Teil einer verwaschenen, braunen Cordhose. Seine abgewetzten Sportschuhe waren durchnässt und würden den Winter nicht mehr überstehen. Aber es musste Malte sein. Die Nase mit dem braunen Muttermal auf dem linken Nasenflügel war unverkennbar. Zu genau konnte sie sich noch daran erinnern, wie sie ihn deswegen immer gehänselt hatten.
»Hey, Malte!«, rief sie zu ihm herüber. »Das ist ja eine Überraschung.«
Erschrocken drehte sich der Mann um und starrte Katy an. Von vorne wirkte er jünger und kräftiger, als sie es auf den ersten Blick erwartet hätte. Er sah blass und ungepflegt aus, und hatte sich bestimmt schon seit Tagen nicht mehr rasiert. Seine Haare waren erstaunlich schütter und wurden an den Seiten schon grau. Er blieb abrupt stehen, und die Leute fluteten fluchend um ihn herum. Als eine Lücke in dem Menschenstrom entstand, kam er auf Katy und Achim zugehumpelt.
»Ach, du bist es. Ich hätte dich beinahe nicht erkannt.«
Na, ich eher dich nicht, dachte Katy. Es war schon ein paar Jahre her, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte, aber sie fand, dass er sich erschreckend verändert hatte. Hatte er schon immer so gehetzt und fahrig gewirkt? Und wie er aussah!
Damals in der Schule hatte sie ihn eigentlich richtig gerne gemocht. Er war immer ein wenig der Außenseiter gewesen, ein schüchterner, pickeliger Jugendlicher, dem ständig der Schweiß ausbrach. Katy hatte ihn genau wie alle anderen wegen seiner linkischen Art und wegen seines Aussehens gehänselt, aber sie war ja auch erst dreizehn gewesen. Trotzdem hatte es sie irgendwie stolz gemacht, dass er sich für sie interessierte, schließlich war er zwei Jahre älter als sie, und eine Zeit lang waren sie richtig gut befreundet. Nur zu nahe durfte er ihr nicht kommen, dazu fand sie sich zu jung. Außerdem legte er manchmal ein Verhalten an den Tag, das sie sich nicht erklären konnte und das sie wahnsinnig störte. Er wirkte dann irgendwie fanatisch und jagte ihr ein bisschen Angst ein. Vielleicht der eigentliche Grund. Irgendwann war es dann mit der Freundschaft vorbei gewesen. Seine Eltern ließen sich scheiden, und er zog mit seiner Mutter in einen anderen Stadtteil. Danach trafen sie sich nur noch selten und eher zufällig. Und jedes Mal war die Distanz größer, bis sie sich schließlich ganz aus den Augen verloren.
»Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt, wir haben uns ja ewig nicht gesehen.«
Die Augen von Malte wanderten unsicher zwischen Achim und Katy hin und her.
»War im Ausland, ein paar Jahre.«
»Ich habe jetzt leider keine Zeit, aber lass uns doch irgendwann mal einen Kaffee trinken gehen. Es gibt viel zu erzählen.«
Offensichtlich war auch Malte, wie die meisten Leute um sie herum, in Eile, und ihr Vorschlag kam ihm wohl entgegen. Rasch tauschten sie ihre Handynummern aus, dann verschwand er in der Menge.
Achim marschierte stolz mit seinen neuen Sportschuhen durch die Fußgängerzone. Im vierten Geschäft waren sie endlich fündig geworden.
»Komm, ich gebe dir einen Kakao aus«, schlug Katy vor. »Erzähl es aber im Heim nicht weiter. So viel Geld habe ich nicht, dass ich mit allen zum Geburtstag ins Café gehen kann.«
Achim triumphierte und entlockte Katy noch ein Stück Sahnetorte. Das war für ihn beinahe so viel wert wie die neuen Schuhe. Es dauerte keine dreißig Sekunden, bis der letzte Bissen in seinem Mund verschwunden war.
»Langsam, Achim, hier nimmt dir keiner etwas weg.«
Ohne Kommentar zog er den Kakao zu sich heran und nuckelte am Trinkhalm herum.
»Woher kennste den Typ von eben denn?«, fragte er.
»Malte? Das ist ein alter Schulfreund.«
»So einer?«
»Was heißt hier so einer? Wir sind eben alle ein bisschen älter geworden.«
»Das meine ich nicht.«
»Was meinst du denn?«
»Das ist bestimmt ’n Stricher, dafür hab ich ’n Blick.«
Katy prustete los. »Wie kommst du denn auf so einen Quatsch? Da irrst du dich aber gewaltig. Komm, trink aus, wir müssen langsam mal nach Hause fahren.«
An Heiligabend gingen immer wieder heftige Schneeschauer nieder. Die
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