Kreuzstein
Wohnung von Achims Mutter denken. Dort hatte es genauso gerochen, als sie vor Jahren den vollkommen verschüchterten, verwahrlosten kleinen Jungen dort abgeholt hatten. Neugierig trat sie in den Flur. Von hier führte ein größeres Zimmer nach links, das Malte anscheinend als Wohnzimmer nutzte. Mit einer halben Wand abgetrennt war in einer Nische eine kleine Küchenzeile eingebaut. Das Zimmer war spärlich möbliert. Die Sachen hatte er von seiner Tante geerbt, erklärte er, als er Katys neugierige Blicke bemerkte. Sie stammten überwiegend aus den fünfziger und sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Im hinteren Teil der Wohnung lagen vermutlich Schlafzimmer und Bad. Der leichte Schimmelgeruch schien in dieser Richtung intensiver zu werden.
»Du trägst eine Baskenmütze?«, fragte Katy, als ihr Blick auf die Garderobe fiel.
»Selten. Ist ein Erbstück von einem entfernten Verwandten.«
Katy hängte ihren Mantel auf und kramte in ihrer Handtasche.
»Darf ich mal deine Toilette benutzen?«
»Oh, Moment, ich sehe rasch nach, ob alles in Ordnung ist.«
Malte verschwand am Ende des kleinen Flurs hinter einer Tür. Katy blieb im Wohnzimmer stehen und studierte die wenigen Dinge, die im Schrank lagen. Ein paar Mitbringsel aus Afrika, jede Menge Kaugummis, eine Sorte, die sie nicht kannte, wenige Bücher, teilweise auf Englisch oder Portugiesisch. Gerade als sie eine Fachzeitschrift für Steinbruchbetriebe in die Hand nehmen wollte, stand Malte wieder im Flur. Mit beiden Händen hielt er eine Kiste vor dem Bauch, die nach seiner Körperhaltung zu schließen wohl ziemlich schwer war.
»So, du kannst hinein.«
»Kannst du denn die Sachen überhaupt tragen, so ganz ohne Gehhilfe?«
»Das geht schon.«
Katy stellte keine großen Ansprüche an die Toilette. Sie war aus dem Heim einiges gewohnt, und mittlerweile musste sie so dringend, dass ihr die mangelnde Sauberkeit ziemlich egal war. Nur setzen wollte sie sich nicht. Sie hatte sich gerade über die Brille gehockt, da klingelte ihr Handy.
»Verflucht!« Mühsam versuchte sie, das immer lauter klingelnde Gerät aus der über den Knien gestauchten Hosentasche zu fummeln. Erschreckt starrte sie darauf, als sie es endlich in der Hand hielt. Auf dem Display stand der Name des Anrufers. Es war Malte.
| 21 |
Gabriele Kronberg hielt sich bereits den halben Tag in Wiesbaden im Bundeskriminalamt auf. Sie war vom Landesstaatsanwalt als Vertreterin der Sonderkommission ins BKA geschickt worden, um die vorliegenden Untersuchungsergebnisse vorzustellen. Der Status der bisherigen Sprengungen musste geklärt werden, weil schon der geringste Verdacht auf Terrorismus die Übernahme des Falls durch den Generalbundesanwalt und somit des BKA nach sich ziehen würde. Die Kommissarin erläuterte den Kollegen, dass aus ihrer Sicht die bewusst verschickten Hinweise wie zum Beispiel die Steinkreuze eher nicht auf terroristische Aktivitäten hindeuteten. Ihrer Ansicht nach handelte es sich vielmehr um einen Einzeltäter, der möglicherweise psychisch gestört war. Sie einigten sich schließlich darauf, dass nach Weihnachten ein Vertreter des BKA in der Sonderkommission mitarbeiten sollte.
Als Gabi in Frankfurt in den ICE nach Köln stieg, vibrierte ihr Handy, das sie nach der Besprechung noch nicht wieder laut gestellt hatte.
Sie hatte kaum abgenommen, da brüllte Allenstein am anderen Ende der Leitung in ihr Ohr: »Gabi! Sie haben Katy entführt!« Er war völlig außer sich.
»Wer? Wie und wann?«, fragte die Kommissarin erschreckt.
»Mich hat gerade ein Mann angerufen, wahrscheinlich derselbe, der schon mal bei mir im Büro angerufen hat, nach dem ersten Paket mit dem Wegekreuz …« Hennos Stimme überschlug sich. »Du weißt schon, ›Wenn der Stein des Drachen fällt …‹«
»Beruhige dich doch! Was hat er gesagt?«
Allenstein holte tief Luft. »Er hat behauptet, er hätte Katy in seiner Gewalt, aber er würde ihr nichts tun, bis seine Aufgabe erfüllt sei. Sie muss wohl etwas herausgefunden haben, was mit den Sprengungen zu tun hat. Ich weiß ja auch nicht. Vielleicht kannte sie den Täter.«
»Unternimm bitte nichts. Wir brauchen dein Handy, vielleicht bekommen wir ja darüber einen Hinweis. Fahr sofort ins Präsidium. Weller ist da, ich informiere ihn.«
Als Henno in der Zentrale eintraf, herrschte hektisches Treiben. Obwohl Heiligabend war, arbeitete die Sonderkommission im Schichtdienst. Es wurden Notfallpläne entwickelt, die alle Eventualitäten mit
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