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Polizeibericht
LIEBESKRANKES FEDERVIEH
Ein liebestoller Pfau wird einem Landwirt aus der Teilgemeinde Rückertsbronn teuer zu stehen kommen. Der Vogel hielt sein eigenes Spiegelbild im Lack des Wagens eines Stuttgarter Automobilkonzerns für einen Nebenbuhler und stürzte sich in blinder Wut mit Schnabel und Krallen so lange auf das Fahrzeug, bis der Lack völlig zerkratzt und vom vermeintlichen Rivalen nichts mehr zu sehen war. Der Schaden an der Lackierung beläuft sich auf 4000 Euro. Von einem Alkoholtest am Täter wurde abgesehen.
Wenn Herrenwitze sprießen und Männerpointen knospen, ist wieder lustige Stammtischzeit für den Weißen Riesen, den Bärenmarken-Bär und Frau Antje aus Holland
»Da hast du mal wieder einen Klassiker verfasst!«
Ex-Kollege Wurster legte sein Bereitschaftshandy auf den Holztisch im Nebenraum des Gasthofs Sonne, warf die Zeitungsseite mit dem Polizeibericht daneben und klopfte mit der frei gewordenen Hand auf Seifferhelds Rücken.
»Ich habe den Polizeibericht heute noch gar nicht gelesen», rief Van der Weyden mit seinem melodischen Akzent vom anderen Tischende. Van der Weyden war Holländer und im Rahmen eines europäischen Austauschprogramms für ein halbes Jahr zu Mord zwo gekommen. Daraus waren nun schon zehn Jahre geworden. Der Liebe wegen.
»Ich sage nur ›liebeskrankes Federvieh‹. Die Chefin ist beinahe vom Stuhl gefallen.« Wurster lächelte in seliger Erinnerung und schob Van der Weyden die Seite zu.
Ein Mal die Woche traf man sich zum Mord-zwo-Stammtisch. Immer in der Sonne in der Gelbinger Gasse, weil es dort die besten Kutteln gab.
Seifferheld stemmte seine Löwenbräu-Halbe. »Wieso? Ich habe nichts geschrieben, was nicht stimmt. Alles Fakt.«
Wurster, der in seiner haarigen Kompaktheit sehr an den Bärenmarken-Bär erinnerte, griente. »Ich glaube, die Chefin wünscht sich mehr Dezenz in den Formulierungen.«
»Demenz? Kann sie haben!« Seifferheld leerte sein Glas in einem Zug.
Wurster bestellte eine große Cola, weil er ja Bereitschaft hatte. Die anderen sprachen dem Bier zu.
Die Atmosphäre war locker und entspannt. Man plauderte aus dem Nähkästchen.
»Habt ihr schon gehört? Sie haben den Russen nach Stammheim verlegt«, erzählte Bauer zwo – so genannt, weil die Chefin ebenfalls Bauer hieß. Der Bruder von Bauer zwo arbeitete in der Haller Justizvollzugsanstalt.
»Wurde aber auch Zeit«, erklärte Dombrowski, der gar nicht bei Mord zwo war, sondern für die Sitte arbeitete, aber dennoch als einer von ihnen galt. Man musste nur die Chuzpe besitzen, drei Mal uneingeladen aufzutauchen und frech Sitzfleisch zu beweisen, und schon gehörte man zum Stamm dazu.
Ein Top-Mann der Ismailowskaja, einer russischen Mafia-Organisation, saß in der Haller JVA unter dem Verdacht der Geldwäsche in Millionenhöhe ein.
»Haben wir jetzt immer noch die höchste Quote an russlanddeutschen Inhaftierten in ganz Baden-Württemberg?«, erkundigte sich Wurster.
Bauer zwo nickte gewichtig. Er war ein kleiner Kerl mit Minipli-Frisur (Welcher Frisör hatte diese Technik heute eigentlich noch drauf?) und fiel vornehmlich durch seine lila Motorradkluft auf, die er tagein, tagaus trug. Da die olfaktorische Belästigung, die von ihm ausging, sich in den üblichen Grenzen hielt, musste er entweder Dutzende lila Motorradanzüge besitzen oder sich jeden Morgen großzügig mit Febreze oder anderen chemischen Gestankskillern einsprühen. »Die Russlanddeutschen haben die Vorherrschaft in der verborgenen Subkultur aller Vollzugseinrichtungen übernommen«, dozierte er, seiner Bedeutungals Insiderwissender bewusst. »Total gut organisiert. Reden nur russisch und schotten sich komplett ab. Mein Bruder hat jetzt angefangen, Russisch zu lernen.«
Alle Anwesenden wussten, dass es diesbezüglich ein Problem gab. Das hatte nichts mit Russlandfeindlichkeit zu tun. Es war einfach ein Fakt des Lebens.
»Immer mal wieder Einzelne in andere Einrichtungen verlegen, das reißt die mafiösen Strukturen auf«, riet Dombrowski, weil er es irgendwo gelesen hatte. Wahrscheinlich in einem
Jerry Cotton
.
Alle nickten.
Die Kutteln kamen.
Eine Zeitlang vernahm man nur Essgeräusche.
Seifferheld fand, dass er es jetzt wagen konnte.
»Sagt mal, diese Sache mit den verschwundenen Männern …«
Alle sahen ihn an.
Seifferheld hatte immer einen sehr guten Ruf in Kollegenkreisen genossen. Er war auch jetzt noch beim Stammtisch gern gesehen, wurde hin und wieder sogar um Rat gefragt. Außerdem ließ
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