Kreuzstich Bienenstich Herzstich
Zahl an Trauernden und Entertainmentsuchenden. »Wir wollen uns heute von einem Mann verabschieden, der es im Leben nicht leicht hatte. Rudolf Plönzke stammte nicht aus unserer Gegend. Er war erst vor kurzem aus beruflichen Gründen nach Schwäbisch Hall gezogen,hatte sich aber mit seiner fröhlichen rheinischen Art schon viele Freunde gemacht.«
Zwei Männer in der ersten Reihe nickten zustimmend. Seifferheld verstand unter »viel« zwar etwas anderes, aber es kam ja nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität an.
Wer wohl dereinst zu seiner Beerdigung kommen würde? Irmgard und Susanne natürlich. Klaus, ein paar Ex-Kollegen, so sie nicht gerade Dienst hatten, und vielleicht noch Olaf. Auch nicht gerade üppig.
»Viel zu früh wurde Rudolf Plönzke aus unserer Mitte gerissen. Durch einen Herzinfarkt beim Joggen. Welch ein Verlust.«
Es musste tierisch schwer sein, Gehaltvolles über einen Mitmenschen zu sagen, den man gar nicht gekannt hatte. Seifferheld bedauerte Pfarrer Hölderlein. Wie kam man als Pfarrer an relevante Informationen, wenn es keine nächsten Angehörigen gab? Googelte man heutzutage den Toten?
Und wer bezahlte die Beerdigung? Seit dem Tod seiner Frau wusste Seifferheld, dass Sterben enorm teuer war. Allein der Sarg, in dem Plönzke da vorn ruhte, musste über tausend Euro gekostet haben, dafür hatte Seifferheld ein Auge. Eiche mit Messinggriffen. Die Miete für die Halle betrug mehrere hundert Euro. Und da waren die Blumen und der Orgelspieler noch gar nicht mit drin. Geschweige denn das nachtschwarze Samtband, das eine Vergrößerung von Rudolf Plönzkes unvorteilhaftem Passfoto zierte.
Seifferheld grübelte.
»Aber Rudolf Plönzke hat seine letzte Joggingrunde noch nicht gedreht. Er läuft jetzt auf den himmlischen Wiesen.«
»Amen«, sagte Ortrud Walter.
»Amen«, sagte auch Heike Bernhardi und schniefte in ein Spitzentaschentuch.
»Lassen Sie uns singen«, forderte der Pfarrer die Anwesenden auf. Man hörte Kopierpapierrascheln und Räuspern, dann setzte die Orgel ein und aus den Kehlen der circa zehn Menschen drangen die ersten Takte von
Befiel du deine Wege
. Man kam nur bis zu »der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann«, als geräuschvoll die Tür der Aussegnungshalle aufgerissen wurde und eine Kleinbusladung Frauen hereinströmte.
Der Orgelspieler hielt abrupt inne.
Circa zehn Köpfe drehten sich.
Seifferheld hätte kein Polizist sein müssen, um zu erkennen, dass es sich um Geschöpfe der Nacht handelte. Ortrud und Heike merkten es auch und rümpften hörbar die gepuderten Nasen.
Die durchweg jungen Frauen, überwiegend aus dem Ostblock und Asien, eilten als homogene Masse zum Sarg, vor dem sie laut schluchzend stehen blieben.
»Rudi!«, rief eine der Frauen mit stark rollendem R.
Weinen und Wehklagen hob an. Eine grazile Philippinerin in einem blutroten Satinkleid warf sich quer über den Sarg und schluchzte hemmungslos.
»Eine bodenlose Peinlichkeit!«, zischte Frau Bernhardi links neben Seifferheld.
»Dem muss doch jemand Einhalt gebieten«, fauchte Frau Walter rechts neben Seifferheld.
Seifferheld aber war zufrieden.
Genau so wollte er auch eines Tages abtreten.
Malleus Büroficarum
»Was für ein süßer Wauwau«, gurrten Ortrud und Heike unisono und knieten sich nieder, um Hovawart Onis zu streicheln. Der Hund ließ es sich gern gefallen, drehte sich auf den Rücken und streckte alle viere von sich, um sich den Bauch kraulen zu lassen. Seifferheld fing sich von den beiden Frauen einen nicht schwer zu deutenden Blick ein: So geht das, Herr Seifferheld. Während sie das Tier tätschelten, schauten sie unablässig in seine Richtung.
Seifferheld kehrte ihnen den Rücken zu. Er sagte ihnen nicht, dass sie dem Tier gewissermaßen gerade die letzten Reste seines Erbrochenen aus dem Fell strichen. Sie würden es später schon ganz von allein an ihren manikürten Händen erschnuppern.
Pfarrer Hölderlein und der Organist waren gegangen, der Herr vom Bestattungsunternehmen sammelte Plönzkes Foto und die Blumen ein, die Trauergäste waren gegangen.
Bis auf die Damen der Nacht und die beiden Männer, die bei der Erwähnung von »wahrer Freundschaft« so kräftig mit den Köpfen genickt hatten.
Eine der Huren kritzelte einem der Männer mit einem Filzstift eine Telefonnummer auf den Handrücken.
Seifferheld humpelte auf sie zu.
Aus irgendeinem Grund erkennen Nutten Bullen immer sofort. Lag es am Gang? An den Körperdüften? An einem tief
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