Kreuzstich Bienenstich Herzstich
Frau.
»MaC, ich weiß, Sie glauben, mir nichts Neues über die verschwundenen Männer erzählen zu können. Aber es gibt doch bestimmt einiges, worüber Sie nicht schreiben konnten. Und sei es nur so ein Bauchgefühl, eine Ahnung.«
Die beiden neuen Biere kamen.
MaC kaute eine Weile nachdenklich auf ihrem Fladenbrot herum.
Seifferheld unterbrach sie nicht. Schon deshalb nicht, weil sie so entzückende Stirnfalten bekam, wenn sie nachdachte.
»Ich habe mir selbst schon überlegt, wo der rote Faden sein könnte«, sagte MaC schließlich.
Der rote Faden?
Den Bruchteil einer Sekunde lang fühlte sich Seifferheld ertappt: Wusste die Presse über seine heimliche Stickleidenschaft Bescheid? Aber nein, das war pure Paranoia. Er schüttelte den Gedanken ab.
»Was ist?«, fragte MaC, der erstaunlich wenig entging. In ihrem Beisein musste man vorsichtig sein mit dem, was man sagte. Auch in der Körpersprache.
»Äh … nichts«, sagte Seifferheld. »Nur eine Fliege.« Er fuchtelte mit der Hand im Kampf gegen ein nichtexistierendes Insekt. »Kein roter Faden?«
MaC schüttelte den Kopf. »Soweit ich es durch meine Recherchen in Erfahrung bringen konnte, kannten sich die Männer nicht. Beruflich hatten sie ja rein gar nichts miteinander zu tun: Rettenberg war ein hohes Tier bei der Sparkasse, Müllerschön arbeitete im Controlling desgrößten Elektro-Marktes in Hohenlohe, Klier im Saunabau, Plönzke bei den Stadtwerken, Geiger bei einem Hörbuchverlag und Prenzlau war seit Jahren arbeitslos und jobbte nur jeden Sommer als Ordner bei den Freilichtspielen.«
»Dennoch könnten sie sich gekannt haben«, warf Seifferheld ein. »In einer Kleinstadt ist das nicht auszuschließen.«
»So klein ist Hall gar nicht«, widersprach MaC. »Hier gibt es vor allem viele Parallelwelten, die sich so gut wie nie überlappen. Schön, auf dem Jakobimarkt oder dem Haller Herbst mag man aneinander vorbeilaufen, aber von Kennen kann nicht die Rede sein. Es gibt eine Businesswelt, eine Kulturwelt, eine Sportwelt … Das hatten die Männer übrigens alle gemeinsam: Sie trieben Sport.«
In dieser Deutlichkeit war das Seifferheld noch gar nicht aufgefallen. »Klier war ein Radfahrer, okay, aber sonst …«
»Rettenberg machte Extremfitness in einem Studio in Hessental, Müllerschön hat früher aktiv für die Haller Unicorns gespielt und war dann später Trainer, Plönzke joggte und Prenzlau war Angler.«
»Ist Angeln ein Sport?« Seifferheld schaute zweifelnd.
»Keine olympische Disziplin, aber ja, es ist ein Sport.« MaC lächelte. »Nur von Geiger ist nicht bekannt, ob er Körperertüchtigung betrieb. Auch wenn er definitiv so aussah.«
Noch so ein Punkt, den Seifferheld bislang ausgeklammert hatte. Das Aussehen der Toten. »War ihnen ihre Durchtrainiertheit anzusehen?«
»Aber hallo! Die Herren waren allesamt Leckerschnitten:groß, dunkel, schlank«, erklärte MaC. »Der Mörder besitzt zweifelsohne ein ästhetisches Beuteschema. Vielleicht ist Sex die Erklärung.«
Seifferheld seufzte innerlich. Dass Frauen immer nur an das
Eine
denken konnten.
Waschen allein genügt nicht, man muss auch ab und zu das Wasser und den Waschlappen wechseln …
»Bäh, was stinkt denn hier so?« Irmgard riss das Küchenfenster auf.
Onis legte den Kopf auf den Fliesenboden und verdrehte die Augen wie ein verschämter Welpe nach oben, weil er es erfahrungsbedingt auf sich bezog, wenn Irmgard schimpfte.
Aber es war nicht der Hund, der roch.
Karina, die mit ihrer Tante beim Einkaufen gewesen war, zog die Stupsnase kraus. »Das stinkt nicht, das duftet.« Mit zuckenden Nasenflügeln ging sie auf ihren Onkel zu, der am Küchentisch saß und einen Himbeer-Holunder-Joghurt aus dem Glas löffelte.
»Ja«, Karina holte tief Luft und nickte, »ich habe die Duftquelle geortet. Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus und ergeben Sie sich!«
Sie kicherte.
Seifferheld hätte nicht gedacht, dass seinem Harem das neue Aftershave auffallen würde, das er am Vormittag in der Parfümerie Klein erstanden hatte. Als beratungsresistenter Kunde war er in den Laden marschiert und hatte mit seiner Gehhilfe einfach auf den Flakon gezeigt, der in seinen Augen am männlichsten aussah: Gucci for men.
Er hatte sich beim Herrenausstatter Lenarz auch ein neues Hemd und eine neue Krawatte geleistet, aber die lagen noch unausgepackt drüben in seinem Zimmer.
Aus irgendeinem Grund war ihm am Morgen nach dem Essen im Indian Forum spontan nach einer Verschönerung zumute gewesen.
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