Kreuzstich Bienenstich Herzstich
war es wirklich Zeit für einen Neuanfang?
»Wie wär’s mit der:
Akademikerin, 55, Nichtraucherin, an Kunst und Kultur interessiert, Stuttgart und Umgebung
. Das klingt doch seriös.« Susanne sah auf.
»Seriös und Lang-wei-lig. Mit großem L. Nein, ich will was Verrücktes.« Seifferheld wusste auch nicht, warum er das jetzt gesagt hatte.
Susanne hmpfte erneut.
»Okay, dann die hier:
Bin ein zarter Falter und suche eine Blüte. Lass mich zu dir flattern, w, 50, keine Bartträger
.« Susanne lächelte.
»Wenn schon, dann will ich keinen Schmetterling, sondern ein weibliches Exemplar der Spezies Homo sapiens. Und die Freiheit, mir einen Bart wachsen zu lassen, behalte ich mir vor.«
Seifferheld hatte sich kurz nach dem Tod seiner Frau einen Vollbart wachsen lassen. Er hatte wie ein Waldschrat ausgesehen und war bei jeder Flugreise bis in intimste Körperöffnungen hinein misstrauisch gefilzt worden, weil er wie ein Terrorist mit finsteren Absichten aussah. Zudem juckte es im Sommer unter der Haartracht und im Winter blieben Weihnachtsplätzchenbrösel darin hängen. Danke, aber nein danke. Nie wieder Bart. Das Recht darauf wollte er sich allerdings vorbehalten, da kannte ernichts. Hier ging es nicht um Gesichtsbehaarung. Hier ging es ums Prinzip. Und das Prinzip hieß Freiheit!
Susanne grinste, klopfte auf den Stuhl neben sich, und als sich ihr Vater setzte, fuhr sie ihm mit kalter Hand über die schlecht rasierte Wange. »Wenn du dir je wieder einen Bart wachsen lässt, kippen wir dir Schlafmittel in die Suppe, schleichen uns in dein Zimmer, während du schläfst, und rasieren dich. Vergiss nie, du bist allein unter Frauen.«
Seifferheld setzte eine panische Miene auf und schob den Teller von sich.
»Ich bin nicht allein! Wir sind zu zweit!« Er klopfte auf sein Knie und rief: »Onis!«
Der Hund kam unter dem Tisch hervor, nahm vor seinem Herrchen Aufstellung und legte ihm den riesigen Schädel in den Schoß, um sich hinter den Ohren kraulen zu lassen.
»Wahre Männerfreundschaft. Aber der Hund wird dir auch keine Hilfe sein, wenn wir uns mit dem Rasiermesser anschleichen. Ein Schweineohr genügt. Der Magen hat mehr Gewicht als jede Testosteronträgerloyalität.«
Seifferheld sah Onis tief in die Augen. »Ja, ich fürchte, du hast recht.« Seifferheld hielt die Hundeohren in die Höhe. »Na, du Wuffschnuff, wie wäre es mit einem Schweineohr?«
Wuff, machte der Hund und sein Schwanz drehte sich im Rekordtempo wie ein Ventilator.
Doch als sich Seifferheld gerade erheben wollte, um aus der Tonne hinter der Kellertür den Nachmittagsimbiss für seinen treuen Begleiter zu holen, wurde die Küchentür aufgerissen.
Irmgard, schwer keuchend, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen, die Haare wirr vom Kopf stehend.
»Karina«, keuchte sie, »Karina!«
Schlupflider und Stirnfalten … Wieder ein Tag mit dem Charme eines Nervenzusammenbruchs
Natürlich sah er sie in ihrem Blut liegen, noch halb unter dem Mercedes, der sie auf der Marktstraße erfasst und getötet hatte. Wie sollte er seinem Bruder erklären, dass er nicht gut genug auf dessen Tochter aufgepasst hatte, dass sie unter seiner Obhut gestorben war? Er war doch Frührentner – warum hatte er Karina nicht Tag und Nacht begleitet, sich an ihrer Stelle vor das Auto geworfen? Warum nicht? Warum?
Dachte Seifferheld in diesem Minutenbruchteil, den Irmi brauchte, um wieder zu Atem zu kommen.
Er und Susanne waren aufgesprungen.
Das
ZEIT-Magazin
fiel vom Tisch. Aus den Augenwinkeln nahm Seifferheld noch wahr, dass eine der Heiratsanzeigen mit Rotstift umkringelt worden war. Erstaunlicherweise eine Anzeige auf der Seite »Er sucht Sie«. Suchte Susanne doch etwas Passendes für sich? Karina sicher nicht und wenn doch, dann nicht im
ZEIT-Magazin
. Oder etwa Irmi?
Apropos Irmi, seine Aufmerksamkeit wandte sich seiner tobenden Schwester zu. Was er sah, war kein lähmendes Entsetzen, es war lavaglühender Zorn.
Wutfunken stoben aus den altersweitsichtigen Augenunter den Schlupflidern, die hohe Stirn grandcanyongleich in Tief- und Tiefestfalten gelegt.
»Diese undankbare Göre! Dieses impertinente Geschöpf! Ich ertrage es nicht länger!«, gellte Irmi.
Susanne schloss das Küchenfenster. Das ging die Nachbarn ja nun wirklich nichts an.
»Sie ist nicht tot?«, fragte Seifferheld, nur um auf Nummer sicher zu gehen.
»Tot?« Irmi schaute verständnislos.
»Tantchen, zieh den Mantel aus und setz dich. Ich mache dir einen Beruhigungstee«, schlug
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