Kreuzstich Bienenstich Herzstich
Hohenlohe
führte er immer einige Belegexemplare mit sich. Vor Kursbeginn schälte er sich zwischen Herd und Esstisch aus seiner schwitzigen Wandermontur (natürlich marschierte er immer zu Fuß von seinem Reihenendhaus im Vorort Michelfeld bis zur Volkshochschule mitten in Hall) und stieg in seine karierte, vom Vater geerbte Kochhose. Seit dem Tod seiner zweiten Frau schlug sich Schmälzle als Selbstversorger durch. Er tat sich in erster Linie durch seine Penetranz hervor. Er mischte sich in alles ein, hatte überall mitzureden, krittelte auch gern an Dingen herum, die ihn nichts angingen. Wenn er nicht gerade auf die Wasserschlieren an Wand und Scheibe hinwies, dann monierte er den Kochlöffel (»Meine Hilde hat immer Metall genommen, Holz ist unhygienisch!«) oder den Herd (»Da ist nicht ordentlich sauber gemacht worden, ich sehe da noch einen Fleck!«). Es war erst der zweite Abend, aber nur noch Günther, der im wirklichen Leben Pfarrer war, ertrug Schmälzles Dauerkritik. Wahrscheinlich aufgrund himmlischer Gelassenheit. Die anderen rückten unweigerlich – und deutlich – von ihm ab, wenn Schmälzle sich zu ihnen stellen wollte. Aber ihm schien das gar nicht aufzufallen. Er tauchte immer wieder auf, wie ein gegen Antibiotika resistenter Hautausschlag.
»Ich glaube, der Salat ist jetzt trocken«, vermeldete er. Und weil Schmälzle Schmälzle war, fügte er noch hinzu: »Er sieht aber nicht frisch aus. Die Verzehrfähigkeit ist bedenklich.«
»Très bien«, rief Bocuse, Schmälzle ignorierend, undscharte seine Hammellämmer um sich. »Et maitenant, attention.«
Bocuse zeigte im Zeitlupentempo, wie man Salatblätter in mundgerechte Happen zerzupfte und in eine Salatschüssel füllte.
»Ist mir fast peinlich, aber ich habe noch nie einen Salat angemacht«, flüsterte Klaus. Er stand neben Seifferheld in der hintersten Reihe, während Bocuse die Salatblätter in bissgroße Happen vivisezierte. Man meinte förmlich, die Schmerzensschreie der grünen Blätter zu hören.
»Ich hasse Salat. Fleisch ist mein Salat«, flüsterte Seifferheld zurück.
»Wann kommen wir denn zu Steak?«, wollte Arndt wissen, der Klempner war und wie Seifferheld dachte. In seinem rechten Ohr blinkte es blau. Das lag daran, dass er Bereitschaftsdienst hatte und ständig erreichbar sein musste, falls irgendwo in Hall ein Toilettenrohr verstopfte. Sein Handy war hochmodern und bestand gewissermaßen nur aus einem blau blinkenden Pfropfen, den er sich in die Gehörmuschel gebohrt hatte, und aus einem schmalen Tentakel, das sich an seine Wange schmiegte.
»Ruhe da hinten auf den billigen Plätzen, man versteht ja nichts!« Mathematiklehrer Horst hatte zweifellos einen Witz machen wollen, aber aus seinem Mund klang jedes Wort wie die Androhung eines Eintrags ins Klassenbuch.
»Voilà!«, freute sich Bocuse. »Jetzt schnippeln wir eine Zucchini klein. ’orst, wären Sie so freundlich?«
Während Horst sich am Gemüse verging, schaute Seifferheld aus dem Fenster.
Die Volkshochschule befand sich in einem apricotfarbenenGebäude am Haalplatz. Man verstand, warum Ray Charles einmal gesagt hatte, für die Farbe Apricot lohne es sich, blind zu sein. Früher hatte sich in diesem Gebäude das Mädchenlyzeum befunden. Die höheren Töchter der Stadt hatten hier bei altjüngferlichen Fräuleins Latein und Bildende Kunst erlernt. Auch seine Schwester Irmi war seinerzeit, noch unter Direktorin Dengler und später Direktorin Nau, zur Reifeprüfung geführt worden.
»’allo, Siegfried, träumen Sie?« Bocuse stand plötzlich vor ihm, eine Zitronenpresse und eine Zitrone in der Hand.
Seifferheld stellte sich zwischen Klaus, der mit einem riesigen Messer das Baguette in krümelnde Scheibletten verwandelte, und Buchhändler Gotthelf, der schwarzen Pfeffer in einem Mörser zerstieß, an die chromblitzende Theke.
»In den Kochbüchern sieht immer alles so einfach aus«, meinte Gotthelf, während ihm beim Mörsern die Pfefferkörner nur so um die Ohren flogen.
»Sachte, sachte«, riet Bocuse. »Pfeffer ist wie eine schöne Frau. Stellen Sie sich beim Mahlen des Pfeffers vor, Sie massierten ihre Brüste.«
Gotthelf rollte mit den Augen. Hinter dem Rücken des Chefkochs murmelte er: »Für einen Franzosen ist alles wie eine schöne Frau. Salzstreuer sind wie eine schöne Frau. Pfefferkörner sind wie eine schöne Frau. Aber manchmal ist ein Pfefferkorn einfach nur ein Pfefferkorn.« Gotthelf klang ungnädig.
Seifferheld kannte Gotthelfs Ehefrau und
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