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Kreuzstich Bienenstich Herzstich

Titel: Kreuzstich Bienenstich Herzstich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Kruse
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alles gut und die Welt in Ordnung.
    Für einen sehr kurzen Moment.
Aus dem Leben eines Gefahrhundes: Entfesselte Tierwelt und Seifferheld mittendrin
    Im Bett zu liegen ist eine Sache. Zu schlafen ist etwas völlig anderes. Seifferheld wälzte sich hin und her.
    Nach dem Unfall hatten die Alpträume angefangen. Eigentlich war es immer derselbe Alptraum, der jede Nacht auf ihn gewartet hatte, unheimlich wie ein leerer Zug an einem stillgelegten Bahnhof. Wirr, diffus, kaum nacherzählbar. Grob ging es um einen Mann – das war dann wohl er selbst –, der sich mit einer Machete durch einen undurchdringlichen Dschungel kämpfte. Der Dschungel behielt immer die Oberhand. Die Alpträume hatten erst aufgehört, als er zur Sticknadel gegriffen hatte. Irgendwie hatte Seifferheld das Gefühl, der Traum wartete in dieser Nacht auf ihn. Aber in diesem leeren Zug am stillgelegten Bahnhof würden die ermordeten Männer sitzen.
    Seifferheld setzte sich im Bett auf.
    Es war Mitternacht. Im Sommer hätte man jetzt noch die Biergartenbesucher auf dem Unterwöhrd gehört oder vorbeiflanierende Freilichtspielbesucher, die sich nach einem Spätschoppen in einer der Haller Weinstuben auf dem Heimweg über den Theaterabend unterhielten und dabei nicht bedachten, wie laut in den engen Haller Gassen selbst leises Reden hallte. Aber es war Herbst, die Saison war vorüber, das Wetter war schlecht und niemand war unterwegs.
    Stille lag über der Kocherstadt.
    Nur das Schnarchen von Onis auf dem Bettvorleger war zu hören. Normalerweise schnarchte Onis sehr melodisch, quasi wiegenliedmäßig. Seifferheld schliefdabei immer unweigerlich ein. Nur nicht an diesem Abend. Zu viel ging ihm durch den Kopf.
    Würde sein Kissen einen Abnehmer finden? Würde es MaC gefallen, mit ihm eine Lesung zu besuchen, wo sie doch berufsbedingt ohnehin dauernd unterwegs war? Wie konnte man einen Wäschereibesitzer in seiner Heißmangel plattwalzen und das Ganze wie einen Unfall aussehen lassen?
    Plötzlich endete das Schnarchen abrupt. Onis erhob sich, ging zur Tür, stellte sich auf die Hinterpfoten, drückte mit den Vorderpfoten die Türklinke nach unten und ließ sich selbst in den Flur. Es war ihm im Schlafzimmer mal wieder zu warm geworden.
    Seifferheld seufzte. Er hätte seinem treuen Gefährten niemals erlauben dürfen, das Türöffnen zu lernen. Tiefe Kratzspuren zierten nun sämtliche Türen des Hauses. Irmi pflegte regelmäßig zu schimpfen: »Wie sieht das denn aus! Was sollen die Leute denken, die uns besuchen!« Und Susanne sprach mit gerunzelter Stirn von »Wertminderung der Immobilie«.
    Seifferheld seufzte erneut. Dann gab er es auf.
    Er war wach.
    Der Hund war wach.
    Da bot sich ein Spaziergang an.
    Schon bei Tag machte Onis seinem Spitznamen Hundini (frei nach dem großen Verschwindibus-Künstler Houdini) alle Ehre: Eben war er noch da, plötzlich war er weg. Und dann tauchte er an einer Stelle wieder auf, an der man ihn nie und nimmer vermutet hätte. Nun, um halb eins in der Nacht, führte er diese Nummer zur absoluten Perfektion. Er war weg und er blieb weg.
    Seifferheld spazierte mit seiner »vermaledeiten Gehhilfe«, wie er den Stock nannte, durch die Ackeranlagen. Es war Vollmond, doch durch den Wolkenteppich blitzte nur hin und wieder ein Mondstrahl auf.
    In Höhe des Lindach schaute Seifferheld über den Kocher zu MaCs Dachfenster, aber es brannte kein Licht. Selbst für eine bekennende Nachteule wie MaC war jetzt Bettgehzeit.
    Er humpelte weiter.
    Aus dem Anlagencafé tönte noch leise Musik, ein verliebtes Pärchen knutschte trotz bedenklicher Nachtkälte auf der Hollywoodschaukel vor dem Café. Holde Jugend, dachte Seifferheld und schritt zügig vorbei.
    Onis war immer noch nirgends zu sehen. Hin und wieder meinte Seifferheld, in den Lichtkegeln der Straßenlampen am oberen Parkweg die weiße Rute seines Hundes zu erkennen, doch es hätten auch Glühwürmchen sein können oder Kugelblitze.
    Seifferheld hasste es, seinen Hund anzuleinen. Wenn er selbst schon nicht mehr frei laufen konnte, dann sollte doch wenigstens sein treuer Gefährte kettenlos herumstreifen können. Nichts ist für einen echten Mann wichtiger als die Freiheit. Die Freiheit der Gedanken, aber auch die des Körpers. Und Seifferheld war sich sicher, dass das ebenso für vierbeinige Männer galt.
    Früher hatte Seifferheld nie viel philosophiert. Wie hätte das auch gehen sollen. Als junger Beamter hatte er für seine kleine Familie sorgen müssen. Das Geld reichte oft

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