Kreuzstich Bienenstich Herzstich
wusste, woran der Mann wirklich laborierte. Es war jedenfalls nicht die eingleisige Bildersprache des Kochlehrers.
»Wir brauchen Pfeffer, viel Pfeffer«, rief Bocuse.
Gotthelf mörserte schneller.
»Kochen kann jeder«, jubilierte Bocuse, »aber Würzen, das ist die ’ohe Kunst!«
Der einzige Zwischenfall an diesem Abend geschah um exakt zwei Minuten nach neun.
Der Salat war fertig angerichtet und harrte in der übergroßen Keramikschüssel aus der Werkstatt von Monika und Stefan Fitzlaff darauf, verspeist zu werden.
Die Männer nahmen sich je einen Teller aus dem Schrank und stellten sich um den Esstisch.
In diesem Moment …
… ballerte das Maschinengewehr los.
Chefkoch Bocuse, der in seiner Jugend fünf Jahre lang bei den Fremdenlegionären gedient hatte, wenn auch nur in einer Feldküche im Tschad, reagierte im Automatikmodus und warf sich quer über den Tisch – wobei die Keramikschüssel mit dem Salat raketengleich durch die Luft flog – und versteckte sich unter der Tischplatte. Alle anderen ließen einfach nur ihre Teller fallen.
Es gab eine herrlich dissonante Kakophonie. Und gleich danach eine künstlerisch ansprechende Bodeninstallation aus türkisfarbenen und hellbraunen Tellerscherben sowie grünen Salatblättern.
Aus dem Raum links nebenan, in dem der Haller Lyrikertreff wie jeden ersten Mittwoch im Monat eigene Poeme vortrug und über ein dichterisches Thema diskutierte, an diesem Abend über die Lyrik Paul Celans, eilte mutig und mit wehendem, schlohweißem Haupthaar der oberste Dichter herbei.
Aus dem Raum rechts nebenan drang nur Stille. Wahrscheinlichwaren die Kursteilnehmer samt Dozentin in Schreckstarre verfallen. Dort lehrte eine Diplom-Psychologin zum Thema »Selbstbehauptung durch Grenzensetzen«.
Seifferheld fühlte sich sehr an den Schusswechsel in der Bank erinnert, der seinem Leben, wie er es kannte, ein so abruptes Ende bereitet hatte. Gott sei Dank war er nicht so sehr traumatisiert, dass er sich jetzt die gute Cordhose benässte. Aber die coole Gelassenheit, die er früher an den Tag gelegt hatte, war ihm abhandengekommen.
»Was ist hier los?«, rief der Oberlyriker.
In diesem Moment fing bereits eine Männerstimme markig zu singen an und die Maschinengewehrsalve wurde mit rhythmischen Beats unterlegt. Man verstand über das Wummern hinweg nur die Worte »dead chicks« und »blood, blood, blood«.
»Sorry, tut mir echt leid!«, brüllte Arndt, der Klempner.
Der Lärm verstummte, als er sich ans Ohr griff und daran herumnestelte.
»Das ist meine Handymelodie.
Damn, what a son of a gun
. Geiler Rap. Von Eminem.« Arndt wies mit dem Zeigefinger in sein Ohr, das jetzt eine Nuance hektischer blinkte. »Ja?«, rief er in das Tentakelteil. »Okay. Bin schon unterwegs.« Schritt für Schritt tastete sich Arndt rückwärts in Richtung Tür. »Ich zahle natürlich für die Teller«, rief er. »Das tut mir wirklich enorm leid, aber ich brauche einen Song, der mich weckt, wenn ich beim Bereitschaftsdienst einpenne.«
Zack, war er weg.
Bocuse tauchte unter dem Tisch auf. Er wischte sichMöhrenreste, Olivenölschlieren und Keramikscherben vom weißen Küchenchefkittel.
»Eh bien«, rief er, als ob nichts gewesen wäre. »Scherben zusammenkehren. Und dann ’eißt es: Essen fassen! Wir lernen: Immer zu viel kochen. Für den unerwarteten Gast. Oder für maschinengewehrbedingte Ausfälle.«
Der Abend endete kurz nach zehn, wie immer mit einem Glas Weißwein und einem Bastkörbchen, das die Runde machte, um sich mit je fünf Euro Unkostenbeitragsscheinen füllen zu lassen.
Seifferheld humpelte gemütlich nach Hause. Es war nicht weit bis in die Untere Herrngasse.
Das Haus lag im Dunkeln.
Sein Harem überraschte ihn, indem es keine Überraschungen gab. Kein Keifen. Kein Zetern. Keine Zettelchen mit diversen Ausrufungszeichen. Alles lag in friedlicher Beschaulichkeit. Nur Onis kam auf ihn zugelaufen, ließ sich durchkraulen und legte sich dann wieder auf seine flauschige Schmusedecke zum Schlafen nieder.
Die Ruhe gab Seifferheld zu denken. Waren seine Mädels krank? Oder hatten sie sich zurückgezogen, um die Auslöschung der menschlichen Rasse zu planen?
Seifferheld zuckte mit den Schultern und ging auf sein Zimmer, wo er noch bis weit nach elf mit pastellfarbenem Sticktwist die Worte »I love Germany« im Elfen-Alphabet auf einen Kissenbezug stickte, den er am nächsten Tag seinem Händler in Rothenburg ob der Tauber zu schicken gedachte.
Für einen kurzen Moment lang war
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