Kreuzstich Bienenstich Herzstich
hinten und vorn nicht. Nach dem Tod seiner Frau hatte es für ihn dann nur noch die Arbeit gegeben. Da kam man nicht viel zum Nachdenken.
Aber jetzt …
Freiheit, das war ein wichtiges Thema. Man konnte Seifferheld zwar im weitesten Sinne noch der 68er Generation zuordnen, aber die Revolution war damals wie heute spurlos an ihm vorübergezogen. Fragen der gesellschaftspolitischen Freiheit gingen ihm nicht durch den Kopf. Er suchte die kleinen, privaten Freiheiten im Hier und Jetzt.
Einen Hund frei laufen zu lassen.
Ohne das Eingreifen dreier Frauen sein Frühstück zusammenzustellen.
Sich ohne Gesichtsverlust als begeisterter Sticker outen zu können.
Seifferheld brummte.
Mittlerweile war er über eine der vielen überdachten Holzbrücken in Hall auf die andere Kocherseite gelangt. Wie ein eckiger Koloss ragte die Steinbacher Gartenschauhalle vor ihm in den Nachthimmel. Es brannte kein Licht mehr. Die Kleintierzüchter, die in diesen Tagen ihre Lieblinge zur Schau stellten, waren schon alle gegangen und hatten für die Tiere, die die Nacht in der Halle verbrachten, keine Schlummerleuchte angelassen.
Neben Seifferheld am Kocherufer quakte eine Ente genervt auf. Sie schätzte es gar nicht, im Schlaf von Menschen aufgeschreckt zu werden. Onis hastete an Seifferheld vorbei und war gleich darauf auch schon wieder verschwunden. Man hörte nur noch ein Rascheln im Gebüsch.
Seifferheld grübelte wieder über die verschwundenen Männer nach.
Es ärgerte Seifferheld. Es ärgerte ihn maßlos, dass außer ihm und MaC keiner diese Sache ernst zu nehmenschien. Jeder Mensch war doch wichtig! Auch skurrile Vögel, die bindungsunfähig durchs Leben segelten und auf den ersten Blick keinen bleibenden Eindruck zu hinterlassen schienen. Seifferheld kam dabei nicht der Gedanke, wie viel er mit diesen Männern gemeinsam hatte: Auch er war skurril, hatte nie große Nähe zugelassen und war früher, ohne seine Gehhilfe, ein absoluter Durchschnittsmann gewesen, den man, kaum dass man ihn sah, auch schon wieder vergaß.
Seifferheld verstand nicht, wie seine Kollegen so penetrant von Zufall sprechen konnten. Das hätte es früher nicht gegeben, dass das grummelnde Bauchgefühl eines erfahrenen Seniors einfach weggebügelt wurde.
Kaum hatte sich dieser Gedanke in seinen Gehirnwindungen gebildet, da versetzte sich Seifferheld innerlich eine Ohrfeige: Dieses »früher war alles besser« war ihm schon bei seinem Vater gehörig auf den Nerv gegangen. Es stimmte einfach nicht. Wahrscheinlich hätte er selbst in seinen frühen Jahren bei der Mordkommission auch nur den Kopf geschüttelt, wenn ein Abteilungsrentner mit einer Verschwörungstheorie aufgetaucht wäre. Nein, Seifferheld musste anders vorgehen. Er würde …
Grrrrrr.
Das Knurren war sehr nah. Extrem nah. Es drang aus zwei Hundekehlen.
Grrrrr.
Zu sehen war nichts, der Vollmond hatte sich mit einer Wolke zugedeckt.
Seifferheld bog nach rechts ins Unterholz. »Onis!«
Ein böses Zeichen, wenn sie nicht mehr bellten, sondern nur noch knurrten.
»Onis!«
In dem Moment, als Seifferheld auf den Parkplatz hinter der Gartenschauhalle trat, kam der Mond hinter der Wolkendecke wieder hervor und scheinwerferte punktgenau auf die beiden Rüden, die sich dort ein wildes Gerangel lieferten.
Es waren Onis und ein Dobermann. Der Besitzer des Dobermanns stand stocksteif daneben – typische Schockstarre – und hielt seinen Hund weiterhin fest an der Leine. Ganz falsch! Seifferheld fiel in einen leichten Gehhilfentrab.
»Onis!«
Ganz falsch war aber auch, dass er gleich darauf mitten in die sich prügelnden Hunde griff. In so einem Moment waren die Tiere nur noch triebgesteuert. Leicht konnte man dann vom eigenen Hund gebissen werden. Der dachte dann zwar: »Huch, schmeckt wie mein Mensch!«, aber da war es ja schon zu spät.
Seifferheld hatte jedoch Glück. Er bekam Onis am Halsband zu fassen und zog ihn mit aller Kraft zurück. »Pfui ist das!«, rief er. »Platz!«
Onis legte sich auf den felligen Bauch.
Der Dobermann wollte sich auf ihn stürzen, aber Gott sei Dank war er nicht an einer Flexi-, sondern an einer Fixleine. So hörte man nur noch ein Röcheln, als er mit einem heftigen Ruck an seine Lederhalsbandgrenzen stieß.
Seifferheld tastete Onis ab. Er blutete leicht am Ohr.
Der Besitzer des Dobermanns stand immer noch reglos.
»Alles okay mit Ihrem Hund?«, fragte Seifferheld.
Endlich kam Leben in den Mann. Er beugte sich jedoch nicht zu seinem Tier hinunter, sondern
Weitere Kostenlose Bücher