Kreuzzüge
sie in ihren Möglichkeiten eingeschränkt, besonders wenn sie Waffen transportierten. Die Festungen blockierten den Weg der Feinde durch die Täler zwischen den hohen Bergen, und die Bogenschützen reichten völlig aus, eine herannahende Armee zurückzutreiben. Zwei der Festungen lagen auf der anderen Seite des Flusstals, eine weitere in der Nähe des Passes. Eine der Festungen jedoch konnte sie noch vor Sonnenuntergang erreichen. Die Soldaten ihres Vaters würden ihr ein Bett bereiten, sie könnte ihre Kleider wechseln und vielleicht sogar in einem der Offiziersquartiere ein Bad nehmen. Und am Morgen würde man ihr das Frühstück servieren …
Nein, sie wollte nicht gefunden werden. Die ersten kleinen Außenposten waren nicht mehr weit entfernt, und dort würde sie gewiss entdeckt werden. Auf den Bergen ringsum gab es vermutlich viele Höhlen. Dort könnte sie ein wenig schlafen, und wenn sie aufwachte, würde sie bestimmt wissen, was dann zu tun war. Eine innere Stimme sagte ihr, dass ihr Verhalten ausgesprochen dumm war. Es sei viel sinnvoller, sich an einen der Außenposten zu wenden – von dort aus könnte jemand sie dann schon am nächsten Tag nach Hause bringen.
Aber diese Gedanken verflüchtigten sich, als sie begann, den Berg zu erklimmen. Mit allen sechs Gliedmaßen musste sie sich am Felsen festhalten. Eine anstrengende Klettertour brachte sie zu einem breiten Felsvorsprung, und dort, unter einem Überhang, fand sie den Eingang zu einer Höhle. Sie kroch in die Höhle, fand eine kleine, sandige Kuhle und streckte sich darin aus. Im nächsten Moment war sie schon eingeschlafen.
Wildarankaragu schnupperte interessiert an der Schlafenden. Es kam selten vor, dass Handleute die Straße verließen und noch seltener waren es weibliche. Sie schob sich nahe an den Körper heran und stellte über ihre Rezeptoren den Kontakt her. Nun vermochte sie zu hören und sehen, was in den Gedanken des Wesens vor sich ging.
Der Schreck über das, was sie dort vorfand, regte sogar die Jungen in ihrem Bauch auf. Sie jammerten und zappelten heftig, sodass sie sich gezwungen sah, sie durch die Kraft ihrer Gedanken zur Ruhe zu bringen. Das erlangte Wissen war für ihre Leute vielleicht ausgesprochen nützlich, und wenn dem so war, würden ihre Jungen es weitergeben. Sie wandte sich wieder der Schlafenden zu und nahm erneut Kontakt auf.
Einige der Erinnerungen betrafen ihren Zustand, den Irrsinn, der sich häufig als Folge einer Paarung bei den Handleuten einstellte. Meist trat dies bei besonders jungen weiblichen Wesen auf oder bei solchen, die streng behütet aufgewachsen waren und den männlichen Artgenossen zu sehr vertraut hatten. Jetzt tauchte ein Name auf, das war bestimmt … Kth'ree … nein, das war ihr Name, der Name der Schlafenden.
Das gefiel Wildarankaragu gar nicht. Diese hier gehörte zu jenen, die man ›adelig‹ nannte. Das bedeutete vermutlich, dass man die ganze Gegend nach ihr absuchen würde, vielleicht sogar die Höhlen. Eine schreckliche Gefahr für alle Leute. Vielleicht aber auch nicht. Ganz versteckt war da noch ein Gefühl, etwas wie Scham und Schande. Vielleicht war sie eine entlaufene Kriminelle?
Kth'ree stöhnte und wälzte sich unruhig im Schlaf. Sie schlief nicht sehr tief, aber ihr Geist war beherrscht vom Irrsinn.
Wildarankaragu versuchte dagegen anzukämpfen, die unsinnigen Botschaften auszusortieren und die wichtigen hervorzuholen, vor allem die bruchstückhaften Erinnerungen, die ihr sagten: ›Ich bin ich‹. Gewiss war es nicht einfach, würde auch ziemlich lange dauern und hinterher wüsste sie, was dem Wesen widerfahren war. Doch Wildarankaragu brauchte die Informationen für ihre Leute. Außerdem konnte man vor den Qualen eines anderen nicht einfach davonkriechen.
Die Jungen in ihr unterstützten sie bei ihren Bemühungen, was ihr eine große Hilfe war. Sie zeigte ihnen, was sie zu tun hatten, wonach sie suchen mussten, was sie zurückdrängen und was sie hervorholen sollten. Nachdem sie sich in letzter Zeit so gelangweilt hatten, weil sie nichts anderes hatten tun können, als alle Erinnerungen in sich aufzunehmen, waren sie nun mit Eifer bei der Sache. Sie hoffte nur, dass ihr Nachwuchs das Durchhaltevermögen besaß, die nächsten Tage zu überstehen.
Hmi'dro folgte der Straßenkrümmung und erreichte den ersten Wachposten. Als die beiden Wachen seine Rangabzeichen sahen, nahmen sie Haltung an. Er deutete ihnen an, wieder bequem zu stehen, und wandte sich an den
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