Kreuzzug gegen den Gral
südfranzösischen Stadt Albi nur den Namen hatten, gehörten zwei, was ihre Doktrinen anbetrifft, voneinander unabhängigen Häresien an. Die bekannteste war die der »Waldenser« (von dem Lyoner Kaufmann Peter Waldo ins Leben gerufen), die in unglaublich kurzer Zeit sich über das Abendland verbreitete. Die zweite Sekte war die der »Cathari« (griechisch: katharos = rein, daraus unser:
Ketzer), die man die Mahatma Gandhi des abendländischen Mittelalters nennen könnte. Über Webstühle gebeugt sannen sie nach, ob der »Erdgeist am sausenden Webstuhl der Zeit wirklich der Gottheit lebendiges Kleid wirke«. Tisserands, Weber, wurden sie auch genannt.
Da dieses Buch nicht die Geschichte der Sekten aufzeichnen will, so spreche ich von den Waldensern nur da, wo sie in den Rahmen meiner Untersuchungen gehören.
Der mysteriösen Cathari wegen wurde dieses Buch geschrieben ...
Da fast ihre gesamte Literatur vernichtet wurde, wissen wir bis heute nur sehr wenig über sie. Was wir von den in den Folterkammern der Inquisition erpreßten Geständnissen einiger Cathari zu halten haben, braucht wohl nicht näher ausgeführt zu werden. Deshalb ist außer einigen historischen und theologischen Fachwerken, von denen mir nur ein verschwindend kleiner Teil der Wahrheit nahe zu kommen scheint, so gut wie nichts über sie geschrieben worden. Überdies schwieg man aus Gründen, die sich im Verlaufe meiner Arbeit von selbst ergeben werden, ihre »Reinheit« und ihren unerhörten Bekennermut tot.
Maurice Magre, der liebenswürdige Prophet indischer Weisheiten, dessen freundschaftlicher Empfehlung in seine südfranzösische Heimat ich an dieser Stelle aufrichtig danken möchte, hat in seinem Buch: Magiciens et lllumines einige Kapitel über das Geheimnis der Albigenser eingeflochten (Le maitre inconnu des Albigeois). Seine Annahme, die Cathari seien abendländische Buddhisten des Mittelalters gewesen, steht durchaus nicht vereinzelt da und ist von sehr ernst zu nehmenden Historikern, wie zum Beispiel von Guiraud in seinem: Cartullaire de Notre-Dame de Prouille vertreten worden. Wir werden davon eingehend zu sprechen haben. Magres Ansicht, die indischen Lehren von Seelenwanderung und Nirwana seien von einem »Weisen« aus Tibet nach Frankreichs leichtlebigem Süden gebracht worden, kann, wie anziehend diese Auffassung auch sein mag, noch so toleranter Kritik nicht standhalten. Wenn ich mich zu einem langen Aufenthalt in einem der schönsten, aber wildesten und unwirtlichsten Teile der Pyrenäen entschloß, so geschah dies keineswegs um - wie einige französische Zeitungen wissen wollten - das Buch meines Freundes Maurice Magre nachzuprüfen, sondern lediglich um an Ort und Stelle einen Stoff zu gestalten, der mich zuinnerst gepackt hatte.
Als ich in der Pariser Nationalbibliothek das Ergebnis meiner Forschungsarbeiten in den Pyrenäen sichten und nachprüfen wollte, stieß ich auf eine Broschüre von Peladan, in der dieser Vermutungen über geheimnisvolle Beziehungen zwischen catharischen Troubadouren und den Templeisen, zwischen Montsalvat und der Burgruine Montsegur, der letzten Zuflucht der Cathari während der Albigenserkreuzzüge, andeutet: Le secret des troubadours ...
Ich hatte inzwischen das Glück gehabt, in Pyrenäenhöhlen die Spuren von unbekannten Stationen der ketzerischen Leidensgeschichte zu finden, die mich, im Anschluß an einheimische Legenden, an einer mehr als etymologischen Beziehung zwischen Montsalvat (mons salvatus) und Montsegur (mons securus) nicht mehr zweifeln ließen. 4 *
Der Catharismus war eine Häresie; die Theologie allein bietet eine Handhabe zur Enträtselung seiner enigmatischen Mystik. Das Werden und den Untergang der romanischen Kultur vermag nur ein Kulturhistoriker würdig nachzuzeichnen. Durch die Epen von König Artus, Perceval, Galaad und Titurel kann nur der Literarhistoriker finden. Höhlen - und sie waren meine wichtigsten, aber schwierigsten und gefährlichsten »Dokumente« - verlangen einen Speleologen und Prähistoriker. Und das »Sesam öffne dich« zum Eintritt in die mythisch-mystische Gralsrunde bietet sich nur dem Künstler.
Ich bitte um Nachsicht, wenn mir die eine oder andere dieser Voraussetzungen fehlen sollte. Aber ich wollte nicht mehr, als meine Zeitgenossen in ein von mir mit Seil und Grubenlicht und fleißiger Arbeit er-öffnetes Neuland führen und den Menschen von heute die Martyro-logie der ketzerischen Templeisen erzählen.
Im möchte dieses Vorwort mit einem
Weitere Kostenlose Bücher