Kreuzzug gegen den Gral
Wände hinauf zu den Mauern einer Burg, die Montsegur heißt. Als ich einmal auf der Straße der Cathari zum Gipfel des Tabor hinaufstieg, traf ich einen alten Schafhirten. Der erzählte mir folgende Legende:
»Als Montsegurs Mauern noch standen, hüteten in ihnen die Cathari, die Reinen, den heiligen Gral. Montsegur war in Gefahr. Luzifers Heerscharen lagen vor seinen Mauern. Den Gral wollten sie haben, um ihn wieder in das Diadem ihres Fürsten einzusetzen, woraus er bei dem Sturz der Engel auf die Erde gefallen war. Da kam in höchster Not vom Himmel eine weiße Taube und spaltete mit ihrem Schnabel den Tabor. Esclarmonde, die Gralshüterin, warf das kostbare Heiligtum in den Berg. Der schloß sich wieder. So wurde der Gral gerettet. Als die Teufel in die Burg eindrangen, kamen sie zu spät. Erbost verbrannten sie alle Reinen unweit des Burgfelsens auf dem camp des cremats, dem Scheiterhaufenacker .«
Ihn ließ auf Erden eine Schar,
Die wieder zu den Sternen flog,
Weil ihre Reinheit sie heimwärts zog. 44
Wolfram von Eschenbach
Die Straße der Reinen führte von dem Olmes, an Montsegur vorbei, über den Gipfel des Tabor zu den Höhlen des Sabarthes. Hier waren die letzten Cathari zu Hause. Weltfern und in sich gekehrt sannen sie dort über höchste Minne nach.
]a, seid Ihr rechter Minne hold,
So minnt, wie an dem heut'gen Tag Die höchste Minne heischen mag.
Wolfram von Eschenbach
Die Cathari 45 * verließen ihre Einsiedeleien in Bergestiefen nur, um Sterbenden die »letzte Tröstung« zu geben oder in einem Burgsaal vor Edelfrauen und Rittern uralte Mythen zu erzählen. In ihren langen schwarzen Gewändern, auf dem Haupt eine persische Tiara, glichen sie Brahmanen oder Akolythen Zarathustras. Wenn sie geendet hatten, ent-
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nahmen sie einer Lederrolle, die sie auf ihrer Brust trugen, das Johannesevangelium und lasen laut:
»Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott. Gott ist Geist, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist anbeten. Es ist gut für euch, daß ich sterbe. Denn sterbe ich nicht, so kommt der »Tröster« nicht zu euch. Wenn aber der Tröster kommen wird, welchen ich euch senden werde ...
»Diaus vos benesiga. Gott segne euch!«
Dann zogen die Reinen in ihre Höhlen zurück, nach der »Kathedrale«, den »Gleysos« 46 (Kirchen), der »Höhle der Eremiten« und der »Höhle von Fontanet« ...
Zur Fontane la Salväsche es ging,
Zu einer Klaus im Fels verloren,
Die Trevrizent zum Sitz erkoren.
Bei ihm erfährt nun Parzival Geheime Kunde von dem Gral.
Zu einer Höhl' der Wirt ihn führte ...
Wolfram von Eschenbach
Die Höhlen des Sabarthes 47 * sind so zahlreich, daß sie einer wahren Tro-glodytenstadt Raum gewähren konnten. Neben den großen Höhlen, die sich meilentief in die Berge einbohren, gibt es unzählige Grotten und durch Felsvorsprünge gebildete Nischen.
Die Wände dieser Grotten und Nischen lassen noch deutlich erkennen, wo einst Balken des Zimmerwerks eingefügt waren, und daß hier ausgebaute Eremitagen gewesen sind, von denen Feuer und Jahrhunderte uns allerdings nicht mehr gelassen haben, als brandgeschwärzte und verwitterte Kalkwände, einige verschmorte oder verkohlte Holzreste, und nie und da, wo Feuer und Unbilden der Witterung nicht hatten einwirken können, eine Zeichnung oder eine Inschrift:
Ein »Baum«, ein Weltenbaum oder Baum des Lebens, der mitten im Paradiese gestanden haben soll, und von dem schon die Hellenen wußten. Die Hesperiden hüteten seine goldenen Äpfel.
Eine Barke, deren Segel eine Sonne ist.
Ein Fisch, das Symbol der lichten Gottheit.
Eine Taube, das Emblem Gott-Geist.
Christogramme in griechischen oder romanischen Lettern.
Das Wort Gethsemane.
Die Paraphe: G T S kunstvoll verschlungen, wahrscheinlich eine Zusammenfassung des Wortes Gethsemane, dem Garten, in dem Christus an die Häscher verraten wurde.
Satzfragmente, von denen nur die Worte »Santa Gleyiza« noch lesbar sind.
Von diesen Grotten haben zwei ihre Namen behalten: »Grotte Jesu-Christi« und »Grotte des Toten Mannes«. Vor der ersteren sind noch Spuren eines Gärtchens und einer kleinen Terrasse geblieben, auf der einst der hier lebende Eremit meditiert haben mag:
Weh dir, Welt, wie tust du so?
Du gibst uns Trübsal und Beschwer,
Du gibst uns Kummers Pein viel mehr Als Freuden. 48
Wolfram von Eschenbach
Die Cathari fühlten sich auf unserer Erde nicht zu Hause. Sie verglichen sie mit einem Gefängnis, das ein ungeschickter
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