Kreuzzug gegen den Gral
Tigris Welle bricht.
Wolfram von Eschenbach
Mein Berghirte vom Tabor hat uralte Weisheiten ausgesprochen. Tummeln sich doch in seiner Pyrenäenheimat noch Elfen in mondhellen Nächten um kristallene Bergquellen. Erzählen doch die Eichen auf dem Berg Tabor weltfernen Hirten noch von dem Gott, der sich im Rauschen der Blätter offenbart. Wie sehr diese Enkel von Druiden und Barden, von Catharern und Troubadouren noch Mystiker und Dichter sind, mag folgende Geschichte erhellen, die ein neunzigjähriger Bauer aus Ornolac erzählt und eifrig als wahr beteuert hat. Er will auf dem Tabor eine Schlange gesehen haben, die sich in den Schwanz biß und als Kreis hinüberschwang über das abgründige Sabarthes zu dem Schneegipfel des Pic du Montcalm.
Die Pyrenäenbauern verzaubern und vergeistigen heute noch ihre Umwelt. Die Cathari und die Troubadoure sind tot. Kann man aber die menschliche Sehnsucht nach Paradies und Gott austilgen? Dreimal wurde der Tabor verflucht, dreimal stand er in Flammen. Sechshundert Jahre später will ein Bauer aus dem Dörfchen Ornolac das Symbol der Ewigkeit gesehen haben: die sich in den Schwanz beißende Schlange. Esclarmonde ist nicht gestorben, sagte mir ein Hirte auf der Straße der Cathari. Sie lebt immer noch ...
Bei Wolfram von Eschenbach ist die Gralskönigin Repanse de Schoye eine Tante Parzivals. Esclarmonde von Foix war die Base des jungen Trencavel von Carcassonne. Repanse de Schoye verheiratete sich mit Feirefiz, einem Halbbruder Parzivals. Esclarmonde vermählte sich mit dem Vizegrafen Jordan von Lille und Gimoez, den man insofern einen Halbbruder des Trencavel nennen könnte, als die Häuser Carcassonne und Comminges im zehnten Jahrhundert unter dem Zepter Asnars, eines kantabrischen Fürsten vereint gewesen waren. Aus diesem Grunde waren die Wappen von Carcassonne und Comminges die gleichen.
Nach dem Tode Jordans (um das Jahr 1204) verzichtete Esclarmonde auf ihr Erbe, verteilte es unter ihre sechs im Mannesalter stehenden Söhne und kehrte in ihre Bergheimat zurück. Nach Empfang des Consolamen-tums aus den Händen des Belissensohnes Guilhabert von Castres nahm sie ihren Wohnsitz auf dem Castellar von Pamiers, das ihr von ihrem Bruder Ramon-Roger, dem Ramon-Drut der Troubadoure, als Witwensitz angewiesen worden war und regierte von hier aus ihre Tabordomänen. Mit dem Belissensohn Ramon von Perelha als Vasall war sie die Lehensherrin der Burg Montsegur.
El Pog de Mont Segur fo per aital bastitz
Qu'el les pogues defendre ...
Wilhelm von Tudela
Castrum montis securi nannten die Römer Montsegur, ihr unzugänglichstes und sicherstes Pyrenäenkastell.
Montsegur war auch Romaniens stärkste Burg, uneinnehmbar und stolz die provengalische Ebene überragend: die erste Treppe zu den Sternen, nach denen die Reinen sich sehnten. Auf seinem dreitausend Fuß hohen Pog (= Berg) wurde es nur von den Schneezinnen des Tabor und dem gestirnten Himmel überragt.
Von Lavelanet, einem etwa zwei Wegstunden von Montsegur der Ebene zu gelegenen Städtchen, windet sich die Straße der Reinen durch die Schlucht des Lectouire hinauf in die Berge. Rauschende Kaskaden, schroffe Felswände, zerrissene Wettertannen, an den Bergwänden klebende Weiler, deren Namen an die Sarazenenbesetzungen erinnern: das Tor zum Tabor.
Als ich zum erstenmal hinaufstieg zu dem Felsen Montségur, brodelten Wolken in den Schluchten, heulte der Sturm in den Ulmen und Tannen. Ich kam hinauf zum abbès (Abgrund), von wo allein man auf Schwindel erregendem Pfad zu den Trümmern der Ketzerfestung gelangen kann, da teilte sich mit einemmal das Gewölk und von der Sonne vergoldet ragte vor mir eine ungeheuere, graue und kahle Felspyramide in die Höhe, wie ich sie wilder und unnahbarer nie gesehen hatte. Und um sie wallte das Wolkenmeer wie eine Weihrauchfahne.
Mit Lavelanet (inuxta castrum montis securi) hütete Montségur den Zugang zum Tabor und den Höhlen von Ornolac, die auf der anderen Seite des Tabor von der Burg Foix, der festen Stadt Tarascon und den Belis-senburgen Miramont, Calames und Arnave geschützt waren. In Mirepoix, Montréal, Carcassonne, in Rocafissada, Belesta und Quéribus und wie die Städte und Burgen alle hießen, bewachten die Belissensöhne die Zugangsstraßen zum Tabor.
Auf Montségur beschützten die würdigsten Ritter Romaniens Minnekirche. Die Berge, um die sich im Laufe der Jahrtausende Mythus und Fabel gesponnen hatten, die Höhlen, in deren feenhaftem Labyrinth sie die Erinnerung an Ahnen
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