Kreuzzug
Zugspitztunnel.
Der Geiselnehmer schlug dreihundert Meter weiter unten mit einem satten
fump,
das Mainhardt stark an das Aufklopfen einer Bundeswehrmatratze erinnerte, zehn Meter vor ihm in den Tiefschnee. Langsam färbte sich die Stelle, wo der Körper aufgeschlagen war, blutrot.
Kapitel hundertsiebenundzwanzig
Reintalhöhle, 15 Uhr 14
S andra Thaler kletterte, hangelte, schlurfte und quetschte sich durch schmale Felsspalten, enge Gänge und finstere Löcher, durch die sie sich nur deshalb wagte, weil sie sicher war, dass dort bereits jemand vor ihr hindurchgekrochen war. Sie hatte auf ihrem Weg gelernt, dass sie dort, wo sie ihren eigenen Rucksack mit der Kameraausrüstung und der Maschinenpistole der seltsamen Amerikaner aus dem Reintal hindurchschieben konnte, selbst auch durchpasste. Sie musste nur das Glück haben, am anderen Ende eines Durchschlupfes etwas zu finden, woran sie sich festhalten und aus der engen Stelle herausziehen konnte. Ansonsten bestand die Gefahr, dass sie stecken blieb, und dann wahrscheinlich für immer.
Sie hatte mittlerweile jegliches Richtungs- und Höhengefühl verloren. Ohne Armbanduhr hätte sie auch nicht den Hauch einer Ahnung gehabt, wie lange sie schon in der nicht enden wollenden Höhle herumkroch. Die Zeit fühlte sich endlos an, als wäre sie schon immer hier gewesen. Doch die Digitalziffern zeigten etwas anderes an. Sie war erst seit anderthalb Stunden unter Milliarden Tonnen Fels unterwegs.
Wie weit sie gekommen war, das konnte sie beim besten Willen nicht sagen. Fünfhundert Meter? Einen Kilometer? Zwei? Sie zwang sich, nicht daran zu denken, was passieren würde, wenn Wasser diese trockengefallene Höhle auf einmal wieder fluten würde. Jede Pfütze, jedes Rinnsal, das irgendwo im Dunkeln plätscherte, und das Glucksen von Abläufen, die endlos durch die unterirdischen Gänge hallten, machten ihr diese ständige Bedrohung wieder bewusst.
Doch seit ein paar Minuten war ihr, als hörte sie außer diesen Geräuschen, ihrem eigenen Atem, dem Schmatzen ihrer Stiefel im Schlamm und dem Scheuern ihrer Kleidung auf dem Stein noch etwas anderes: menschliche Stimmen. Sie drangen unvermittelt und immer nur ganz kurz an ihr Ohr, und jedes Mal, wenn sie eine Pause machte, um angestrengt zu lauschen, waren sie wieder weg. Sie bildete sich das sicher ein, vielleicht war sie dehydriert, oder der Schock ihrer Lawinenverschüttung trat zutage.
Sie durfte sich nicht von Stimmen in ihrem Kopf davon abhalten lassen, weiterzumachen, bis … Ja, bis was? Was erwartete sie, am Ende dieser Höhle zu finden? Einen Schatz? Einen Ausgang? Und wohin würde der sie führen?
Kapitel hundertachtundzwanzig
Eibsee-Hotel , 15 Uhr 16
D ie Terroristen meldeten sich. Eine neue Botschaft erschien auf dem Bildschirm.
SIE HABEN UNSERE ANWEISUNGEN NICHT BEFOLGT . DAS ZWEITE SEIL FÄLLT MIT DEM NÄCHSTEN VERSTOSS UND MIT IHM DIE GIPFELSTATION . WIR WERDEN UNS NICHTS MEHR GEFALLEN LASSEN .
»Seltsam, dass sie auf den Mann, der da gerade aus dem Tunnelfenster gefallen ist, nicht eingehen«, murmelte August Falk.
»Kapitän Dembrowski, was ist dort oben los?«, rief Hans-Dieter Schnur ins Mikro.
Ein Flüstern wisperte in seinem Headset. »Ich habe den mutmaßlichen Anführer der Terroristen aus dem Fenster geworfen. Wir haben eine automatische Waffe. HK 5 . Ein Magazin. Gehen jetzt gegen die verbliebenen zwei Gegner im Zug vor. Ende.«
»Wer ist ›wir‹? Und ist Berlin informiert?«, zischte Schnur. Ihm waren das eindeutig zu viele Einzelgänger in dieser Aktion.
»Berlin ist informiert«, meldete sich der Generalbundesanwalt, der über sein eigenes Headset mithörte. »Lassen Sie sie machen.«
Und an Kerstin Dembrowski gerichtet sagte er: »Keine Gefangenen, Frau Kapitän. Viel Glück. Ende.«
Kapitel hundertneunundzwanzig
Im Zugspitztunnel , 15 Uhr 17
K erstin Dembrowski nahm ihre Brille ab und zertrat sie auf dem Boden der Felskaverne, die das Tunnelfenster mit dem Zahnradtunnel verband. Es war sicher im Sinn ihrer Vorgesetzten, dass es keine Bilder von dem gab, was nun geschehen würde. Thien Baumgartner, der mit verwundertem Blick neben ihr stand, wies sie an, einen der Klettergurte anzulegen, dann deutete sie auf das Seil. »Im Notfall hier nach unten. Aber jetzt bleiben Sie hier stehen.«
Sie nahm Thien die Maschinenpistole ab und schlich in Richtung Tunnel. Als sie nach knapp zehn Metern die Felsröhre erreichte, schaute sie ganz vorsichtig um die Ecke.
Thien blieb
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