Kreuzzug
ausgehen mussten, ihre parteiinternen Nickligkeiten eingestellt. Sie wussten unendlich viel mehr über die Bedrohungslage, als sie der Öffentlichkeit preisgeben würden. Nicht umsonst wurde das Münchner Oktoberfest seit einigen Jahren mit einem aufwendigen Sicherheitsgürtel abgeriegelt. Natürlich hatte man im Sommer 2010 die Kuppel des Reichstagsgebäudes in Berlin nicht ohne Grund für Besucher sperren lassen. Und hätten die Amerikaner nicht die entscheidenden Hinweise auf die Sauerland-Gruppe gegeben, hätten die Terroristen ihre monströse Wasserstoffperoxid-Bombe irgendwo in Deutschland gezündet.
Zusammen mit den Fachabteilungen der Ministerien und den Spezialisten des GTAZ , des »Gemeinsamen Terrorismuseinsatzzentrums«, hatten sie schon oft über konkrete und abstrakte Terrorgefahren für Deutschland getagt. Sie hatten mit Innenministern und Ministerpräsidenten stunden-, tage-, nächtelang in den unterschiedlichsten Stäben diskutiert. Nach allem, was sie wussten, mussten sie jetzt vom Schlimmsten ausgehen.
Ein gesprengter Tunnel. Ein verschütteter Zug. Der Tag des großen Anschlags war für Deutschland gekommen.
Kapitel fünfundzwanzig
Eibsee-Hotel , 14 Uhr 35
D er Hubschrauber mit dem Verteidigungsminister, seiner Frau und seinem Team an Bord ging beim Eibsee-Hotel auf den See nieder und landete mit ausreichendem Sicherheitsabstand neben seinem noch älteren Artgenossen, der den Ministerpräsidenten gebracht hatte, sowie seinen modernen Verwandten, mit denen die Reporter von RTL , SAT . 1 und BILD zum Katastrophenort geflogen waren.
Die Journalisten und Kameraleute warteten im Hotel bereits nervös auf das, was sich ihnen hier bieten würde. Dennoch versuchten sie einen möglichst gelangweilten und abgeklärten Eindruck zu machen. Immerhin: Tunnelunglück, das gab es nicht alle Tage.
Das Kamerateam des Bayerischen Rundfunks, der für Deutschlands öffentlich-rechtliche Stationen die Berichterstattung übernehmen sollte, steckte im VW -Bus im Stau vor Garmisch. Der Vertreter der Lokalzeitung und der junge Reporter des Lokalradios waren zu Fuß zum Eibsee gelangt, da die Straße gesperrt war. Beide waren sich bei den wenigen hundert Metern Höhenunterschied zwischen dem Talort Grainau und dem See wie bei einer Himalaja-Expedition vorgekommen. Oben brauchten sie erst einmal eine Belohnungszigarette und einen doppelten Espresso mit Schuss.
Nach und nach versammelten sich die Presseleute in einem dafür bereitgestellten Konferenzraum des Hotels in der Nähe des Krisenstab-Raumes.
Die Referenten des Ministerpräsidenten hielten die Pressemeute, so gut es ging, in Schach, bis die beiden Spitzenpolitiker von Brunnstein und Lackner ihren Auftritt hatten. Durch das Fenster des Konferenzraums, das zum See hinausging, sah man, wie der Verteidigungsminister mitsamt seiner Frau und einer Entourage von vier Begleitern auf das Hotel zulief. Die Fernsehleute liebten solche Auftritte des jugendlich wirkenden Ministers, der in seinen hellen Chinos, den Timberland-Stiefeln und dem Funktionsblouson wie der Held eines amerikanischen Actionstreifens wirkte. Die Kameramänner hatten ihr Arbeitsgerät an den Fenstern in Stellung gebracht und zoomten die Szene ganz nah heran.
Carolin von Brunnstein lief die ersten Schritte unter dem laufenden Rotor geduckt mit, dann fiel sie in einen gemesseneren Schritt. Erstens konnte sie auf den glatten Sohlen der UGG -Boots bei dem Tempo ihres Mannes auf Eis und Schnee nicht mithalten, zweitens war sie die Frau eines deutschen Bundesministers, drittens vertrat sie durch Geburt wie auch durch Heirat deutschen Hochadel. Öffentlich über einen zugefrorenen See zu laufen und dabei vielleicht auszugleiten geziemte sich nicht, wie sie fand.
Ein Beamter der örtlichen Polizei erwartete den Minister am Seeufer und führte ihn durch einen Seiteneingang ins Hotel. Von Brunnstein traf in einem ansonsten leeren Nebenraum auf Hans-Peter Lackner.
»Was Neues, HP ?«, begrüßte von Brunnstein den Ministerpräsidenten.
»Dass das klar ist, Teddy: Ich war zuerst hier und eröffne die PK .«
»Gern, rede du ruhig zuerst. Ich weiß ja noch nichts über die Sache. Im Gegensatz zu manch anderem pflege ich mir erst ein Bild vom Sachverhalt zu machen, bevor ich etwas sage.«
»Dann ist ja alles klar. Also, die Leute warten. RTL geht live drauf, sagt mein Pressemann.«
»Ganz großartig, HP . Los, geh raus. Ist der Körber von SAT . 1 auch schon da? Na ja, der kommt schon noch und kriegt was
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