Kreuzzug
sind gefährdet, sogar mit – eigentlich – noch höherer Wahrscheinlichkeit, wie wir eben diskutiert haben.« Er war bereits voll und ganz auf die Linie der jungen Offizierin aus Berlin eingeschwenkt, aber ohne ihr völlig recht zu geben. Um Vorstand einer gemeindeeigenen Bergbahn zu werden, hatte er sich den Großteil seines Lebens als äußerst stromlinienförmig erweisen müssen, hatte sich aber stets seine eigene Meinung bewahrt.
»Ins Schneefernerhaus «, überlegte Rothier laut. »Dort ist fast niemand. Außer dem Minister, dem MP und dem Körber natürlich.«
»Vergessen Sie’s«, entgegnete Falk. »Die Leute müssten mit der Gipfelbahn runter aufs Platt und von dort mit der kleinen Hangbahn hinüber zum Schneefernerhaus. Die Hangbahn hat aber nur noch vier Plätze, seitdem das Haus eine Forschungsstation ist.«
»Ich weiß gar nicht, warum Sie immer noch glauben, dass Sie die Leute dort oben mit Bergbahnen hin- und herbewegen können«, wunderte sich Dembrowski. »Ich gehe davon aus, dass nicht nur die Eibsee-Seilbahn , sondern alle Bahnen vermint sind. Zumindest können wir das im Moment nicht ausschließen. Und wissen Sie, wie viele Heckenschützen dort oben zwischen den Felsen ausharren? Nein, Sie müssen sich damit abfinden: Die Menschen dort oben bleiben, wo sie sind, und wir haben erst einmal keine Chance, sie irgendwo anders hinzutransportieren.«
Peinliches Schweigen folgte Dembrowskis Ausführungen. Ausgerechnet eine Frau, auch noch eine Marineoffizierin, erklärte den Gebirglern, was auf und an ihrem Berg ging und was nicht. Resigniert blickten die Männer zu Boden. Sie hatte leider recht. Jegliches beherzte Handeln, eigentlich die Stärke der Männer von Bergwacht, Feuerwehr, THW und Bundeswehr, nutzte nichts, war sogar kontraproduktiv. Sie alle mussten sich auf das Verhandlungsgeschick dieser Frau verlassen.
Nicht nur sie selbst im Konferenzraum »Forelle« im Eibsee-Hotel, sondern noch mehr die fünftausend Menschen, deren Leben zwischen 2600 und 2900 Metern im Schneesturm am seidenen Faden hing.
Kapitel achtundfünfzig
Flughafen Wien-Schwachat, Januar 2011
A llein dass die Flugzeit von La Paz bis Wien mit den beiden Zwischenstopps in Lima und New York über vierundzwanzig Stunden dauerte, war ein Vorteil für jemanden, der mit falschen Papieren reiste. Die Al-Qaida-Leute im Jemen hatten Pedro und seine Gefährten von Mi Pueblo mit peruanischen Pässen versorgt. Peruaner galten selbst in den Vereinigten Staaten, die alle Fremden unter Generalverdacht stellten und alle Einreisenden erkennungsdienstlich behandelten, indem sie Fingerabdrücke abnahmen und Augenscans durchführten, als ungefährlich, und der österreichische Zoll auf dem Wiener Flughafen winkte die Gruppe Südamerikaner, die mit Studentenvisa aus den USA einreisten, anstandslos durch.
In der eisigen Kälte des oberösterreichischen Hochwinters fühlten sich die dreizehn Guerilleros, zu denen sie in den vergangenen zwei Jahren im Jemen geworden waren, sofort wie zu Hause. Endlich wieder Temperaturen unter null. Die gab es im jemenitischen Hochland auch, aber nur nachts. Am Tag schien die Sonne auf der Arabischen Halbinsel auch im Winter unerbittlich heiß vom Himmel. Die wenigen Wochen, die sie nach dem Ende der Ausbildung und der Vorbereitung auf den Einsatz in der Heimat verbringen durften, um die Einreise nach Europa aus einem unverdächtigen südamerikanischen Land zu simulieren, hatten sie sehr genossen. Endlich wieder kalte klare Gebirgsluft.
Davon würden sie auch in Deutschland, dem eigentlichen Ziel ihrer Reise, genug bekommen, obwohl dieses Land nicht so hoch gelegen war wie ihre Heimat. Nicht einmal ihr Einsatzort lag so hoch wie ihre Dörfer und Städte, obwohl es der höchste Berg dieses Landes war.
Auf ihrem Weg durch den Flughafen zum Bus schwiegen sie. Die Helligkeit und die Transparenz der Gebäude bannte sie ebenso wie die schlichte Tatsache, dass hier alle Böden sauber und die Abfallkörbe fast leer waren. Und dass tatsächlich niemand rauchte, wenn Rauchverbotszeichen dies untersagten. Das war also Österreich. Deutschland sollte noch sauberer sein, hatten sie gehört. Eine kaum denkbare Vorstellung.
Da sie bisher in ihrem Leben außer ein paar Umsteigeflughäfen nur den Jemen und ihr eigenes Land kennengelernt hatten, fühlten sie sich in ein anderes Universum versetzt, als sie eine Stunde später auf dem Stephansplatz vor dem Dom mitten im Zentrum der Bundeshauptstadt Wien standen. Dieser
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