Krieg der Drachen - Roman
irgendein Siedler. Ob sie in der Lage waren, die Toten aufzuwecken, war dabei zweitrangig. Die reine Tatsache, dass sie mächtiger und geschickter
waren, als Vladimir es gelernt hatte, auch nur als Möglichkeit in Betracht zu ziehen, entlarvte diese Behauptung als falsch. Hinzu kam, dass die Krone die Schulen der Magie durch die Vergabe königlicher Ermächtigungsurkunden kontrollierte, und jeder, der außerhalb dieser Schulen lehrte, von Krone und Kirche verfolgt wurde. Konnte es sein, dass weit mächtigere Magie möglich war als allgemein angenommen, und die Krone dem Volk diese Wahrheit bewusst verschwieg?
Vladimir schmunzelte. Der Pöbel mochte glauben, die Königin sei über Lügen und dergleichen erhaben, aber tatsächlich belog die Regierung sie tagtäglich. Die offiziellen Stellungnahmen hatten den Villerupt-Feldzug als norillischen Triumph dargestellt. Für Rückschläge hatte man Verbündeten die Schuld zugeschoben, jeder Tote war zum Held verklärt worden, jeder Offizier befördert worden, obwohl die Truppen sich vom Kontinent hatten zurückziehen müssen. Die heimkehrenden Truppen waren mit derartigem Prunk empfangen worden, dass man gar nicht anders konnte, als Sieger in ihnen zu sehen.
Der Prinz akzeptierte, dass größere und mächtigere Magie existierte, als es die Lehrmeinung für möglich hielt. Er stützte diese Überzeugung auf die Leistungen der Shedashie und die Tatsache, dass sein Ausbilder ihn beim Schießunterricht für seine Begabung gelobt hatte. Er hatte die erforderlichen Zauber schneller zu beherrschen gelernt als die Kinder von Prinzessin Margaret. »Euch steht eine große Militärlaufbahn bevor.«
Doch nichts dergleichen war geschehen. Der König war ohne Nachkommen bei den Kämpfen auf dem Kontinent gefallen. Margaret war auf den Thron gestiegen statt seines Vaters, der zu diesem Zeitpunkt als Generalgouverneur Mystrias gedient hatte. Später war er nach Launston zurückgerufen worden und in das
Kloster zurückgekehrt, das er Jahre zuvor auf königliches Geheiß verlassen hatte, um Vladimirs Mutter zu heiraten, und der Posten des Generalgouverneurs fiel an seinen Sohn.
Ob du Malphias tatsächlich die Toten aufwecken, Totgeglaubte heilen oder irgendwie Knochen zusammenflicken und dazu bringen konnte, sich aus eigener Kraft zu bewegen: Alle drei Möglichkeiten führten zum selben Ergebnis. Du Malphias verfügte über einen unerschöpflichen Vorrat an Arbeitskräften. Mehr noch, Truppen, die von ihrer Unsterblichkeit überzeugt waren, konnten unter Umständen Angst und gesunden Menschenverstand außer Acht lassen und weiterkämpfen, wenn sie normalerweise die Flucht ergriffen hätten. Eine derartige Entschlossenheit konnte zu einer Armee führen, die dem Gegner selbst in hoffnungsloser Lage gewaltige Verluste zufügte.
Er erkannte augenblicklich, was das bedeutete. Das Gleichgewicht der Macht in Mystria hatte sich verschoben. Neu-Tharyngia hatte sie bisher zwar als ebenso reiche Kolonie wie die Besitzungen Norisles erwiesen, doch die geringere Bevölkerung und entsprechend kleinere Militärmacht hatten tharyngischem Abenteurertum einen Riegel vorgeschoben. Eine größere Macht ließ in Zukunft erhebliche Schwierigkeiten erwarten, erst recht mit du Malphias als Anführer.
Natürlich ließ sich alles, was durch Magie vollbracht wurde, auch mit Magie aufheben. Ein Zauber konnte Schwefel in Brand setzen, ein anderer Zauber, wenn er nur schnell genug eingesetzt wurde, konnte das Feuer wieder löschen. Zugegeben, der Magier hätte das Feuer berühren müssen, um seinen Zauber zu wirken, und sich dabei zwangsläufig verbrannt, aber er konnte das Feuer löschen. Einen magisch verbesserten Soldaten zu berühren, würde den Magier sicherlich ebenso in große Gefahr bringen.
Aber Eisen zerschlägt jede Magie.
Der Prinz drehte sich um und griff sich das Journal. Er blätterte bis zur Hälfte, wo die Seiten leer waren, und machte sich Notizen, skizzierte ein Diagramm und führte ein paar Berechnungen aus. Dann kam ihm ein anderer Gedanke, der in einer weiteren Zeichnung resultierte.
Er stieß den Sessel zurück und packte eine Maßkordel, die er sich um den Hals schlang, lief aus dem Studierzimmer und den Rasen hinab in Richtung Wurmstand.
Er sollte ihn nicht erreichen.
Nathaniel Wald winkte ihm vom Ufer zu, während er das Kanu an Land zog. Kamiskwa sprang am anderen Ende aus dem Boot und half, es aus dem Wasser zu holen. Dann hielt Nathaniel dem Prinzen eine Tasche entgegen.
Vladimir
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