Krieg der Sänger
Blut, das ihm aus der
offenen Stirn ins Auge floss.
Reinhard führte den benommenen Biterolf an die Schranken. Dort
entfernte Dietrich den Helm, und mit einem Tuch entfernte er das Blut, um die
Wunde zu begutachten. Die Haut war über dem Stirnbein aufgeplatzt.
»Bestimmt sollte man das nähen«, sagte Dietrich, »aber ich kann dir
etwas darumwickeln, wenn du den Kampf beenden willst.«
Biterolf wendete sich leise an Reinhard. »Wärt Ihr gekränkt, wenn
ich es nicht täte?«
»Nicht doch«, erwiderte Reinhard mit ebenso gedämpfter Stimme. »Und
ohne Euch zu nahe treten zu wollen: Wie es aussieht, werdet Ihr gegen mich
nicht gewinnen. Aber wenn Ihr jetzt aufhört, verhindert Ihr zumindest, dass es
am Ende fünf Treffer zu einem steht.«
»Ihr an meiner Stelle würdet also aufgeben?«
»Nein. Aber ich bin nicht an Eurer Stelle.«
Dietrich wollte erneut Blut abtupfen, aber Biterolf wehrte die Hand
ab. »Lass es laufen. Damit es wenigstens nach etwas aussieht.«
Gemeinsam gingen Biterolf und Reinhard zum Kampfrichter, um ihm die
Entscheidung mitzuteilen. Walther von Vargula rief daraufhin Reinhard zum vorzeitigen
Sieger aus. Biterolfs blutiger Schopf erntete immerhin einige respektvolle Hochrufe
aus dem Publikum. Während die nächsten Kämpfer – Wolframs Knappe gegen einen
Knappen der Thüringer – sich auf ihren Waffengang vorbereiteten, ließ die
Landgräfin Biterolf zu sich bestellen. Sie wollte die Wunde von Nahem
betrachten. Auf ihrem Schoß saß ihr jüngster Sohn Heinrich Raspe.
»Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht«, sagte Sophia und strich
Biterolf die Haare zur Seite. »Ich könnte unseren Wundarzt rufen lassen, aber
ich fürchte, er würde aus diesem kleinen Riss nur einen größeren machen. Nadel
und Faden, das kann Agnes besser.«
Im rückwärtigen Teil des Podests, hinter den Thronen, spielten die
drei älteren Kinder mit einigen Holzpferdchen und kleinen Puppen aus Holz,
Stoff und Draht, die Kreuzritter und Sarazenen darstellten. Bei ihnen war die
Amme. Als ihr Name genannt wurde, trat sie zu ihnen.
»Agnes, dies ist Herr Biterolf«, erklärte Sophia, »einer unser
geschätzten Sänger. Ich wünsche, dass du ihm die Stirn flickst, sobald die
Kämpfe vorbei sind. – Oder habt Ihr daheim ein Weib, Herr Biterolf, das es übel
nähme, wenn ich Euch in die Hände einer so hübschen Frau gebe?«
Der kleine Heinrich auf Sophias Schoß hatte, kaum dass Agnes in
Sicht gekommen war, versucht, sich aufzurichten, und hielt beide Arme nach ihr
ausgestreckt. Die Landgräfin hielt ihren Sohn fest in den Armen; nun aber fing
er an, zu quengeln und den Namen seiner Amme zu rufen, worauf Sophia ihn
seufzend in die Arme von Agnes entließ. Dort zappelte er, bis er sein kleines
Händchen durch eine Öffnung im Mieder geschoben und auf eine von Agnes’ Brüsten
gelegt hatte. Agnes zog die Hand wieder heraus, worauf er zu weinen begann.
»In meinen Bauch will er nicht zurück«, sagte Sophia, »aber immer
wieder zu deinen Brüsten, Agnes.«
Diese Bemerkung war Agnes ebenso unangenehm wie Biterolf. Sie schlug
die Augen nieder und nahm das Geheul des Kindes zum Vorwand, sich mit ihm zu
entschuldigen. Sophia legte beide Hände auf ihren gewölbten Bauch, als wolle
sie auch das ungeborene Kind schon an der Flucht hindern.
»Agnes ist eine gute Frau und noch zu haben«, sagte sie. »Sie ist
Witwe, seit ihr Mann bei der Belagerung von Weißensee fiel. Sie wüsste einen
Haushalt einwandfrei zu führen. Wenn Ihr wollt, rede ich mit ihr, und mit etwas
Glück verlasst Ihr die Wartburg nicht mit leeren Händen.«
»Das kommt etwas plötzlich«, sagte Biterolf, dem vielmehr die Frage
durch den Kopf schoss, ob er die Wartburg überhaupt verlassen würde.
»Hübsch ist sie wie keine Zweite.«
»Euer Hoheit ausgenommen.«
Sophia lächelte beinahe nachsichtig über diese ungelenke Schmeichelei.
»Euch läuft Blut in den Kragen.« Sie wartete, bis Biterolf das Blut
fortgewischt und sich das Tuch auf die Wunde gedrückt hatte, damit kein neues
nachkam, und sagte dann: »Denkt darüber nach, Herr Biterolf. Vielleicht könnten
wir damit endlich diesen schwermütigen Zug vertreiben, der sie seitdem umgibt.«
Sie wies mit einer Art Missbilligung auf Walther und Wolfram, die auf der
anderen Seite der Schranken standen. »Oder wollt Ihr etwa wie Eure bejahrteren
Mitstreiter bis ans Ende Eurer Tage ohne Heimat mit dem Instrument auf dem
Rücken durch die Lande ziehen und für Frauen singen, die nie ihr Bett mit
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