Krieg der Sänger
die
Schatulle, der der Landgraf die Münzen für sein Gesinde entnahm. Das wenige
Licht der Fackeln brachte die Krone Hermanns und seine golddurchwirkten Kleider
zum Strahlen, sodass er wie einer der drei Heiligen Könige inmitten zahlloser
Hirten anmutete. Die Knechte, die ihre Gabe zuerst erhalten hatten, gingen in
den benachbarten Stall, um auch die Tiere mit Geschenken zu versehen; mit
Äpfeln, Rüben und Getreide. Niemand beachtete Biterolfs überstürzten Aufbruch.
Vor seiner Kammer wartete Klara. Nachdem er aufgeschlossen und zwei
Lichter entzündet hatte, nahm sie auf seiner Bettstatt Platz. »Schön hast du es
hier«, sagte sie und wies auf eine Schale auf dem Tisch. »Magst du mir von den
Nüssen anbieten?«
»Iss, so viel du willst, aber sag mir bitte, worum es geht. Dietrich
wartet.«
Klara nahm einige Nüsse, um sie zwischen ihren Stiefeln und dem
Boden zu knacken. »Weil Reinmar der Schiedsrichter ist, soll er auch die
Aufgabe übernehmen, die Reihenfolge der Sänger auszulosen. Die fünf Lose gibt
es bereits, die Reinmar morgen in der Früh ziehen wird … aber wir werden dabei
allein sein. Ich muss ihm die Lose vorlesen, also kann ich die Namen nach
Gutdünken aneinanderreihen.«
»Du … du würdest Reinmar täuschen?«
»Es wäre nicht der erste Streich, den ich ihm spiele. Aber
wahrscheinlich der redlichste. Ich kann dir jeden Platz ermöglichen, den du dir
wünschst. Das ist mein Weihnachtsgeschenk an dich.«
Biterolf schwieg.
»Was ist? Freust du dich nicht?«
»Ich wollte mein Schicksal in Gottes Hand legen. Entweder bin ich
ein guter Sänger, oder ich verdiene weder Titel noch Leben.«
»Du bist und verdienst all das«, sagte sie, »aber es kann sicherlich
nicht schaden, ein bisschen nachzuhelfen.«
»Ich weiß nicht. Mit einem Vorteil in diesen hehren Wettstreit zu
gehen … Ich hätte das Gefühl, betrogen zu haben. Ich könnte nicht mehr in den
Spiegel sehen.«
»Du wirst auch nicht mehr in den Spiegel sehen können, wenn du
keinen Kopf mehr hast.«
Dieses Argument leuchtete Biterolf ein. Also machten sich die beiden
daran, den für ihn bestmöglichen Ablauf zu entwerfen. Auf keinen Fall wollte
Biterolf am zweiten der beiden Tage singen: Diesen Druck wollte er nicht länger
als nötig ertragen müssen. Als erster Teilnehmer wollte er ebenso wenig singen:
Das Publikum sollten andere für ihn aufwärmen. Ein Vortrag nach Walthers
geschliffenen Versen erschien ihm ebenso gefährlich wie ein Vortrag in direkter
Nachbarschaft zu den mächtigen Epen von Wolfram und Heinrich.
Man einigte sich schließlich auf folgende Reihung: Der tugendhafte
Schreiber würde den Reigen am ersten Tag eröffnen, dann Biterolf vor Walther;
dann am zweiten Tag, sicher ausgelagert, Wolfram und Ofterdingen.
Jetzt, wo Biterolf der Versuchung nachgegeben hatte, Einfluss auf
den Sängerwettstreit zu nehmen, schreckte er auch vor der Bitte nicht mehr
zurück, Klara möge dem alten Reinmar ein paar gute Worte über ihn und seine
Kunst einflüstern. Strahlend erwiderte Klara, dass sie schon seit gestern
nichts anderes getan habe.
»Dank dir, Klara«, sagte Biterolf. »Und jetzt muss ich zurück zu
Dietrich.«
»Einen Augenblick noch. Willst du mich denn für meine Hilfe gar
nicht belohnen?«
»Was wünschst du dir denn?«
Klara tat, als würde sie nachdenken, und sagte dann: »Ein Lied von
dir. Tun wir einmal so, als wäre ich die Herrin und du der unglücklich
verliebte Ritter, und du versuchst alles, mein Herz zum Schmelzen zu bringen,
und rufst Frau Minne um ihren Beistand an, dass es gelingt.«
»Können wir das bitte ein andermal machen? Ich habe Dietrich
versprochen, sofort zurück zu sein. Es ist jetzt bald eine halbe Stunde.«
»Dietrich kann warten.«
»Ich fürchte, nicht. Irgendetwas quält ihn.«
»Und ich weiß auch, was«, sagte sie und zog ein Gesicht.
»Nämlich?«
»Dass er sich in dich verliebt hat.«
»… wie bitte?«
»Du bist ein gut aussehender Mann. Und Dietrichs Vorlieben sind auf
dieser Burg ein offenes Geheimnis. Du hättest dir nur einmal die Mühe machen
müssen, danach zu fragen. Verkehrte Ausschweifungen, wenn du verstehst.
Scharwenzelt er nicht seit deiner Ankunft um dich herum? Hat er nicht eben in
der Kapelle sogar deine Hand gehalten?«
»Du meine Güte.«
»Bestimmt will er dir heute Nacht seine Liebe erklären. Am besten
hier, in deiner Stube, dass er, solltest du ihn erhören, sein sündhaftes
Begehren gleich ausleben kann. Und deswegen, sage ich dir, ist er
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