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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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so durch den
Wind.«
    Biterolf, der bereits aufgestanden war, sank zurück auf seinen
Schemel und rieb sich die Stirn. »Grundgütiger. Was soll ich nur tun?«
    »Versetz ihn.«
    »Das wäre zu grob.«
    »Dann sag ihm – noch bevor er zu Wort kommt –, dass du dich in eine
Frau verliebt hast. Das erspart ihm die Blamage. Erwähn die Amme mit den
Brüsten, die du so anziehend findest. Oder besser noch, erwähne mich! Wenn du
willst, können wir so tun, als wäre ich dein Liebchen. Ich begleite dich Arm in
Arm zurück in die Kapelle und verabschiede mich dann mit süßen Worten.
Sicherlich deutet er den Hinweis richtig. Er ist ja nicht blöd.«
    »Ja … vielleicht sollten wir das tun.«
    »Aber zuerst mein Lied.«
    Als Biterolf in Begleitung Klaras zur Kapelle zurückkehrte, war
nicht nur der Hof verwaist, sondern auch die Kapelle selbst. Die Wartburg schlief.
Jetzt, da sämtliche Kerzen gelöscht worden waren und alle warmen Menschenleiber
fort, schien es in der Kirche kaum wärmer als unter freiem Himmel. Es war
anfangs so dunkel, dass Klara, die die besseren Augen hatte, Biterolf an der
Hand führte wie den blinden Reinmar. Biterolf flüsterte Dietrichs Namen und
erhielt keine Antwort.
    »Er ist fort«, murmelte Klara. »Damit wärst du deiner Sorge wohl
ledig. – Süßer Herr Jesus, in dieser Kälte hätte ich aber auch keine Stunde
ausgeharrt!«
    Jetzt erkannten sie auch, weswegen die Kapelle so schnell ausgekühlt
war: Das rechte der drei Fenster in der Apsis war eingeschlagen, und durch ein
Loch von einer Elle Durchmesser blies der bitterkalte Ostwind herein. Das
Fenster war auf Kopfhöhe von innen zerschlagen worden: Einiges Glas lag auf dem
Boden nahe der Wand, der größte Teil aber außen. Das Sanktuarium der Kirche war
verletzt worden. Wo man noch vor einer Stunde gemeinsam die heilige Messe
gefeiert hatte, fühlte man sich nun seltsam unwohl und verwundbar. Klara bückte
sich nieder, um einige der bunten Scherben aufzuheben.
    Unter Biterolfs Sohlen knirschte es, aber es waren nicht die
Scherben: Um den Taufstein herum waren kleine Wasserlachen verteilt, die auf
den kalten Bodenplatten weiß gefroren waren. Im Taufbecken selbst stand das
Wasser höchstens noch ein paar Finger tief. Eigentlich sollte gerade das
geweihte Wasser vor Dämonen schützen, aber nichts hätte Biterolf jetzt bewegen
können, seine Hand in dieses schwarze, eisige Becken zu tauchen.
    »Wollen wir gehen?«, wisperte Klara.
    »Ja.«
    Beim Gehen fiel Biterolfs Blick auf das Steinbild der Maria. Selbst
im Dunkeln erkannte er sofort, dass etwas fehlte. Das Kind war der Jungfrau aus
den Armen gebrochen worden. Das Einzige, was von Jesus noch über war, war eines
der Händchen: Am Gelenk war es abgebrochen und hing nun einsam, ohne Arm und
Körper, am Ausschnitt der verwaisten Mutter. Biterolf schlug das Kreuz.
    »Klara«, sagte er und wies auf die zerstörte Statue.
    Klara betrachtete den Schaden. »Irgendjemand wird ihn abgebrochen
haben«, sagte sie schulterzuckend, »weshalb auch immer … und hat ihn dann durch
das Fenster geworfen. Er liegt draußen im Schnee. Mit Dietrich sprechen wir
morgen.«
    Sie verließen die dunkle Kapelle, aber bevor sie in die Vogtei
zurückkehrten, suchten sie auf der Rückseite der Kirche nach dem steinernen
Jesuskind. Es war nirgends zu finden. Und ihre Fußabdrücke waren die ersten im
frischen Schnee. Wenn das Steinbild des Erlösers tatsächlich das Fenster
durchschlagen hatte, dann war es in den Himmel aufgefahren, ohne zuvor die Erde
berührt zu haben.
    Angesichts dieses Rätsels verließ selbst Klara der Mut. Aus der
Ferne hörte man Hundegebell. Wahrscheinlich war es nur ein ungezogener Hofhund
in Eisenach oder Stedtfeld, aber Klara wollte sich keinen Augenblick länger im
Freien aufhalten. Sie bat Biterolf, bei ihm schlafen zu dürfen. Biterolf, der
dem Alleinsein mindestens ebenso abgeneigt war, willigte umgehend ein. Im
Laufschritt kehrten sie zurück. In der Stube überließ er ihr den Bettkasten und
richtete sich seinen Platz mit Stroh und Fellen auf dem Boden ein. Gemeinsam
sprach man ein Gebet vor dem Einschlafen. Klara war die Lust an Scherzen
vergangen. Dietrich blieb verschollen.

HEINRICH VON WEISSENSEE
    Im Jahre unseres Herrn Jesus Christus 1184 gefiel es dem
Allmächtigen, die Bodenbalken im zweiten Stockwerk der erzbischöflichen Burg zu
Erfurt unter dem Gewicht der darüber versammelten Fürsten, Kleriker und Ritter
zusammenbrechen zu lassen und mehr als einhundert davon

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