Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
Vom Netzwerk:
hinabzuschleudern in
die Fäkaliengrube, die sich im Keller des Hauses befand. Als das Knarren der
Balken ertönte und die Stimmen der Anwesenden nach und nach verstummten,
zuletzt die Stimme des Königs, hatten sich in Erwartung eines Unglücks einige
an ihren Stühlen festgehalten und einige an ihren Nebenmännern. Das eine war so
nutzlos wie das andere. Als das Holz brach, stürzten sie alle hinab samt den
Stühlen und Tischen, auf und an denen sie gesessen hatten; Mächtige und Diener,
Mobiliar und zerborstene Dielen prasselten auf den Boden des unteren Geschosses – bis auch dieser die plötzliche Last nicht mehr halten mochte und ebenso
nachgab, noch ehe sich unter den Gefallenen Wehklagen erheben konnte. Nach
einem flüchtigen Aufenthalt im Limbus ging es nun in die Hölle.
    Unter dem Haus nämlich lag die Abtrittgrube, in der sich der Kot von
Jahren gesammelt hatte; ein Jauchebecken so tief, dass ein ausgewachsener Mann
nicht darin stehen konnte. Zu Dutzenden fielen sie in diesen teuflischen Pfuhl,
und wer dort von nachfallenden Balken oder Steinen erschlagen wurde, konnte
sich möglicherweise glücklich schätzen – denn für die anderen galt es nun, sich
aus einem Morast von Exkrementen zu retten, in dem man weder treten noch
schwimmen konnte und aus dem zur gleichen Zeit, durch das Gestrampel so vieler Beine
aufgerührt, derart üble Dämpfe aufstiegen, dass es vielen die Besinnung raubte.
Wer schwere Gewänder trug oder gar eine Rüstung, sank bald zu Boden und
ertrank.
    Der König selbst und der Erzbischof waren verschont geblieben; die
    Sessel von Heinrich  VI . und Konrad von Mainz
befanden sich in einer Fensternische auf gemauertem Boden. Nun standen die
beiden Männer dort, eng an das Fenster gedrängt, ein Schritt vom Abgrund
entfernt, und gafften durch die beiden Krater, wo einst Boden gewesen war,
herab auf den Überlebenskampf der Unglücklichen im Keller. Dort unten schwammen
auch die Feinde des Erzbischofs, Ludwig von Thüringen und sein Bruder Hermann,
doch vollauf unkenntlich, weil alle ausnahmslos von der gleichen braunen,
vielmehr grauen Brühe bedeckt waren.
    Mit den Schreien stieg auch der unerträgliche Geruch zu ihnen auf.
An der Wand zu ihrer Rechten war es einem Mann gelungen, sich an einem
Bildteppich festzuhalten, als der Boden brach, doch Nagel für Nagel löste sich
der Teppich nun von der Wand. Über die Bohlenstümpfe, die hier und da noch aus
dem Mauerwerk ragten, kletterte ihm ein anderer zur Hilfe, doch er kam nicht
rechtzeitig. Schreiend und in seinen Teppich gewickelt, stürzte der Mann zwei
Geschosse tief in sein Verderben.
    Heinrich von Weißensee hatte in der Mitte des Raumes gesessen, neben
dem Kanzler des Thüringer Landgrafen, dessen Adlatus er war. Als sich der Boden
unter ihm aufgetan hatte, hatte er sich unwillkürlich an Pergament und Feder
festgeklammert, als habe er beides mitnehmen wollen an den anderen Ort. Wo der
Kanzler abgeblieben war, konnte er nicht sagen, als er sich im Morast
wiederfand; die Menschen um ihn herum waren kotverschmierte, gesichtslose Wesen
und allesamt seine Feinde, denn jeder nutzte seinen Nachbarn nur, um an ihm emporzuklettern,
um ihn zu missbrauchen als Treppenstufe aus der Grube heraus. Heinrich ruderte
mit Armen und Beinen und stieß gegen Lebende und Leichen, verwickelte sich in
einem jauchegetränkten Banner, bekam einen geborstenen Balken zu fassen und
umklammerte ihn, um dort einen Moment zu verschnaufen, bis er von Stärkeren
vertrieben wurde. An den Rändern der Grube kletterten bereits die Ersten zurück
auf festen Boden; dorthin musste auch Heinrich gelangen, wollte er leben, aber
die Jauche hemmte jede seiner Bewegungen. Als er den Kopf in den Nacken legte,
erblickte er kurz den König, der etliche Klafter über ihm auf das Geschehen
herabsah wie Gott auf die Opfer der Sintflut. Das Bibelwort des Propheten
Jesaja schoss ihm durch den Kopf, ins Totenreich musst du
hinab, in die tiefste Grube! , da legten sich zwei Hände auf seine
Schultern und drückten ihn unter die Oberfläche. Knie oder Stiefel traten ihn
tiefer nach unten, er zappelte, stieß mit dem Kopf gegen eine Tischplatte oder
ein Brett, tauchte endlich auf und fand sämtliche Sinne betäubt – Kot in den
Ohren, in den Augen, selbst in Nase und Mund, dass er nicht einmal mehr
schreien konnte.
    Und plötzlich wurde seine Hand von einer anderen fest gepackt.
Diesmal war es ein Freund. Heinrich erwiderte den Druck, und in einer einzigen
Bewegung wurde er aus der

Weitere Kostenlose Bücher