Krieg der Sänger
geschmeidig.«
»Davon habe ich noch nie gehört.«
»Ich habe es von der Kammermagd von Katharina von Wangenheim, und
ihr und den anderen Damen wiederum hat es Walther anvertraut, als er am Tag
nach Sankt Thomas in der Spinnstube seine Lieder vortrug.«
»Walther von der Vogelweide ölt seine Stimme mit Vogelbeeren?«
»Wenn ich es Euch sage. Ich dachte, Ihr würdet das auch versuchen
wollen. Wie geht es Eurer Wunde?«
Biterolf nickte nur. Beide sahen, um nicht einander anzusehen, auf
die runzligen Beeren auf dem Tisch, das letzte lächerliche Rüstzeug gegen
Biterolfs Enthauptung.
»Warum bist du vorletzte Nacht mit Heinrich von Ofterdingen
gegangen?«, fragte er schließlich.
»Das müsst Ihr mich nicht fragen.«
»Aber ich will es wissen.«
»Ich bin Euch keineswegs zum Gehorsam verpflichtet, nur weil die
Landgräfin gewisse Absichten mit mir hegt.«
»Weshalb so schroff? Ich habe höflich gefragt.«
»Höflich gefragt, ja. Aber die Frage ist nicht höflich. Und Ihr
wisst die Antwort. Wärt Ihr eine Frau, Ihr wärt ebenso mit ihm gegangen wie
ich.«
»Das ist eine seltsame Antwort. Und eine seltsame Vorstellung.«
»Es ist die Wahrheit«, sagte sie und hob eine der Beeren auf, die vom
Tisch gekullert war. »Ich wäre gern beim Sängerstreit dabei, um Euch zu
applaudieren, aber es ist den Rittern und Damen vorbehalten. Ich werde ein
Gebet für Euch sprechen.«
»Weil mich nur noch Gebete retten können?«
»Das habe ich nicht gesagt.«
»Betest du auch für Heinrich von Ofterdingen?«
»Ich lasse Euch heißes Wasser kommen«, sagte Agnes, ohne sich noch
einmal umzuwenden. »Ihr müsst Euch dringend rasieren.«
Die Klinge des Richtschwertes war vom Leder seiner Scheide
bedeckt, aber Biterolf hatte durch das taktlose Geplapper von Dietrich
erfahren, dass in die eine Seite ein Spruch aus dem Evangelium des Johannes
graviert war, Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet ,
und in die andere ein Rad, zugleich Abbild der Richtstätte und Symbol des
Lebenskreises. Der Scharfrichter selbst, Meister Stempfel aus Eisenach, ließ
sich, wie es einen guten Scharfrichter auszeichnet, keinerlei Regung anmerken.
Die meiste Zeit tat er sein Bestes, trotz seines leuchtend roten Wamses mit dem
Hintergrund zu verschmelzen, nicht aufzufallen und niemandem ins Auge zu sehen;
erst recht nicht den Männern, denen sein Schwert möglicherweise den Nacken
durchtrennen würde.
Es waren nicht zerlumpte und gebrandmarkte Straßenräuber,
Brandstifter und Mörder, sondern die sechs größten Sänger des deutschen
Reiches, die nun, gerüstet in ihre feinsten Gewänder, vor den Landgrafen traten
und niederknieten. Beim Turnier hatten noch ihre Knappen Waffen und Schilde
getragen, jetzt sekundierten die Singerknaben und trugen Harfen, Fiedeln und
Bögen, die Waffen der Musik. Biterolf und Heinrich von Weißensee mussten
freilich ohne Knaben auskommen: Ihr gemeinsamer Helfer blieb vom Erdboden
verschluckt.
Ebenso geschmückt wie die Teilnehmer waren die Zuschauer des
Wettstreites, die Damen und Ritter des Thüringer Hofes. Nicht für das
Christfest hatte man sich so herausgeputzt, sondern für diesen
außergewöhnlichen Wettkampf, bei dem dabei zu sein man das große Glück hatte.
Von der Beklemmung des einfachen Burgvolkes angesichts der nächtlichen Vorfälle
war kaum etwas zu spüren: Hier oben im Festsaal war der Christusglaube
vollkommen und rein, nicht wie im Parterre durchsetzt vom Glauben an alte
Götter und Dämonen. Einige von Sophias Damen hatten sich zwar
Wacholderzweigchen an ihre Kleider geheftet, aber sie erweckten mehr den
Eindruck weihnachtlicher Broschen als heidnischen Schutzzaubers gegen das Böse.
Hermann von Thüringen begrüßte die Sänger erneut und rühmte die Idee
des Wettsingens in den höchsten Tönen. Von seinem anfänglichen Unmut über das
Vorhaben und von seinen Rügen gegen die Sänger war nichts mehr zu spüren. Im
Gegensatz dazu gab sich Sophia kaum die Mühe, ihre andauernde Verstimmung über
ein Spektakel zu verbergen, dem sie augenscheinlich lieber ferngeblieben wäre.
Hermann betonte, Thüringen, Deutschlands politischer und musischer
Mittelpunkt, würde nach diesem denkwürdigen Weihnachtsfest neben der Ritter-
auch die Sängerkrone tragen. Gleichzeitig beklagte er, dass es nicht nur einen
Sängerkönig, sondern auch einen Todgeweihten geben würde. Das Schicksal auf dem
Richtstuhl gönne er keinem der Streiter. Andererseits wäre der Kampf mit einem
geringeren Einsatz nicht halb so
Weitere Kostenlose Bücher