Krieg der Sänger
legendär: Das Los des Verlierers mehre den
Ruhm des Siegers. Er, Hermann, begeistere sich gleichermaßen für die Werke
aller, weshalb er auch unmöglich ein Urteil über Besser und Schlechter fällen
könne.
Mit einem Handschlag wünschte er den fünf Mutigen Glück, und an der
Hand entführte er den Sechsten aus ihrer Mitte, dem die undankbare,
schwerwiegende Aufgabe des Schiedsspruches zukam. Dass Reinmar von Hagenau
blind wie Justitia sei und daher ohne Ansehen der Person urteilen würde, sei
ein weiterer Beweis dafür, dass er mehr als jeder andere zum Richteramt berufen
sei. Hermann appellierte an seine Ritter und an Sophias Damen, Reinmar gleichsam
als Schöffen zur Seite zu stehen und mit Beifall nicht zu geizen. Auf Hermanns
Bitte verkündete der Alte die Reihenfolge der Vorträge. Klara hatte ihr
Versprechen gehalten und die Auslosung nach Biterolfs Wünschen manipuliert. Für
einiges Raunen sorgte die Begegnung von Wolfram und Ofterdingen am Folgetag.
Dann nahm man Platz.
Reinmars Richterstuhl stand neben Hermanns Thron, aber zunächst
setzte sich der Hagenauer auf einen einfachen Schemel in die Mitte des Saales.
Klara brachte ihm die Harfe, und Reinmar spielte und sang drei eigene Lieder,
um das Publikum einzustimmen. Reinmar gab zwei bekannte und geschätzte Stücke,
in denen er seinem Ruf als der Meister des schönen Leidens gerecht wurde; Lob-
und Werbelieder an eine unerreichte, unerreichbare Herrin, mannigfaltige Bilder
von Schmerz und am Ende die Einsicht, dass die Erfüllung seiner Wünsche
unmöglich war – denn sobald die Herrin ihn, den Sänger, erhörte, würde sie
damit gerade die begehrenswerteste ihrer Tugenden, die Keuschheit, einbüßen. So
wollte es das Paradox.
Dass Reinmar beileibe nicht mehr in einem Alter war, Lieder auf die
Herzeliebe zu singen, beeinträchtigte den Genuss, aber man musste nur wie er
die Augen schließen, um sich der Illusion eines jungen, unglücklich verliebten
Ritters unter dem Fenster seiner Angebeteten hingeben zu können. Und man konnte
sich am leichtfüßigen Gang seiner blinden Finger über die Harfensaiten
erfreuen. Das dritte und abschließende Lied war ein neues. Da es aber wie die
vorigen mit den bekannten Versatzstücken Reinmars arbeitete und mit einem
ähnlichen Klageruf auf die unerfüllte Liebe endete, wirkte es – noch mehr als
seine Klassiker – gestrig. Klara sang die Worte stumm mit. Unter wohlwollendem
Applaus verbeugte sich Reinmar von Hagenau und wurde von seiner Führerin an
seinen Platz neben dem Landgrafenpaar gebracht.
Heinrich von Weißensee, Günstling der Wartburg und der
Landgrafschaft, trat nun mit seiner Harfe in die Mitte. Nach einer blumigen
Reverenz seinem Dienstherrn und seiner Herrin gegenüber bat er die Anwesenden
um Erlaubnis, sie an den Hof von König Artus entführen zu dürfen. Er sang
Passagen aus seinem Lied von Keie und Gawan, jener so gegensätzlichen
Tafelrundenritter, die durch ihre Worte und Handlungen ein ebenso
gegensätzliches Bild von den Pflichten und Privilegien ihres Standes entwerfen:
Der tugendhafte Gawan hebt die ritterlichen Pflichten hervor, der rohe Keie die
Privilegien. Durch sein vorlautes Verhalten bringt Keie König und Tafelrunde
wiederholt in Schwierigkeiten, und sein ungehobeltes, lärmendes Treiben stößt
Gawan so sehr ab, dass dieser dem Hof schließlich den Rücken kehrt, um die
Stille der Aventiure zu genießen.
Die Rhetorik des Schreibers war in der Tat tugendhaft, Versmaß und
Reime mustergültig. Und dennoch wirkte das Lied bald schwerfällig und
weitschweifig. Den Streitgesprächen der beiden Ritter fehlte die Schärfe, und
Keies Fehltritte waren letzten Endes zu unerheblich, um lauthals darüber zu
lachen. Weder des Schreibers Stimme noch sein Harfenspiel bereicherten den
Vortrag wesentlich. Seine Ballade von Keie und Gawan war mehr zum Lesen
geeignet als zum Hören. Wolframs Blick war in die Ferne gerichtet. Heinrich von
Ofterdingen gähnte ostentativ.
Nach dem Applaus und den Verbeugungen des Kanzlers rief Reinmar nun
Biterolf von Stillaha in die Saalmitte. Biterolf hatte bis eben eine Vogelbeere
gekaut. Die herbe Säure der trockenen Frucht wirkte belebend, der nachfolgende
Speichelfluss aber war äußerst unwillkommen. Er musste schlucken, bevor er
sprechen konnte: »Euer Hoheit: ein Auszug aus meinem Gedicht über die
Heldentaten Alexanders des Großen.« Sein Hals, sein Scheitel und seine Ohren
pochten, als hätte er sein eigenes Herz aufgestoßen. »Von der
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