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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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es noch«, sagte er zu ihr. »Hoch mit dir, dein
Herr sucht dich. Er braucht seine Augen.«
    Schlaftrunken mühte sich Klara auf die Beine und zog im Aufstehen
eines der Felle mit sich, das sich erst kurz vor der Tür von ihrem Körper löste
und zu Boden fiel. Sie hob es auf und legte es zurück auf das Bett.
Währenddessen sprach sie keinen Ton und sah nur einmal bußfertig zum gestrengen
Kanzler.
    »Es ist nicht das, wonach es aussieht«, erklärte Biterolf, als sie
fort war.
    »Es steht mir nicht zu, über Euch zu urteilen«, entgegnete der
Schreiber, »und glaubt mir, ich habe wahrlich andere Sorgen. Schließt
freundlicherweise die Tür.«
    Der Schreiber nahm auf dem einzigen Schemel Platz. Seine Oberlippe
war rot und geschwollen. Er führte eine Hand an seine Zähne und verzog das
Gesicht.
    »Habt Ihr Euch verletzt?«, fragte Biterolf.
    »Vermutlich werde ich einen Zahn verlieren. Er wackelt bedrohlich.«
    »Was ist geschehen?«
    »Ein weiteres Kapitel in diesem unerfreulichen Streit um Pferd und
Finger. Herr Atze und ich hatten einen Disput, auf den ich aber nicht weiter
eingehen will. Denn ich habe ganz andere Sorgen: Ich kann Dietrich nirgends
finden. Ich hatte gehofft, Ihr könntet mir helfen.«
    »Weshalb?«
    »Weil Ihr während der Mette neben ihm saßt und mit ihm spracht.
Seitdem hat ihn niemand gesehen.«
    »Ich fürchte, ich weiß es ebenso wenig.«
    »Hat er Euch in der Kapelle etwas gesagt, von dem ich wissen
müsste?«
    Biterolf zögerte einen Herzschlag lang, ehe er den Kopf schüttelte.
    »Hier ist irgendetwas faul«, sagte der Schreiber. »Ich bin davon
überzeugt, dass er sich uns mitteilen wollte … und jetzt ist er fort. Man
möchte meinen, der Teufel gehe um auf der Wartburg. In der Kapelle wurde eine
Scheibe zerschlagen, und der steinernen Madonna wurde der Gottessohn entrissen – ein schönes Weihnachtsfest! Ein Wachmann schwört gar, Stimmen in der dunklen
Kirche gehört zu haben.«
    »Die Wilde Jagd?«
    »Ganz recht!«, schnaubte der Schreiber. »Auf diese aberwitzige
Vermutung ist das Gesinde auch schon gekommen. Und jeder dieser Toren hat
Angst, er könnte der Nächste sein. Aber weshalb sollte dies Heer von
Hirngespinsten ausgerechnet eine Heiligenfigur entwenden?«
    »Ich erinnere mich, dass Dietrich sagte … Frau Hulde hole sich
dieser Tage alle ungetauften Kinder.«
    »Unfug, wenn Ihr mir dies scharfe Wort verzeiht. Wir sprechen von
einem bloßen Abbild des Heilands, der notabene längst
getauft, gestorben und wieder auferstanden ist. In Gottes Namen, bitte behaltet
diese These für Euch! Sie wäre Wasser auf die Mühlen dieser Kleingeister, und
ehe wir uns versehen, rufen sie auf zur Suche nach dem steinernen Jesuskinde,
das nackt da draußen im Wald umherirrt, oder wollen es aus den Fängen der
mirakulösen Frau Hulde befreien. – Ich danke Euch für Eure Hilfe, Herr
Biterolf, und bitte Euch für die ungestüme Störung Eures Nachtschlafs um
Entschuldigung. Ich wusste, dass ich Euch vertrauen kann. Legt Euch noch einmal
aufs Ohr; es ist erst kurz vor Laudes, und Ihr seht aus, als könntet Ihr noch
etwas Ruhe vertragen, bevor der Wettstreit beginnt, für den ich Euch im Übrigen toto pectore alles Gute wünsche.« Und im Gehen sagte
er noch: »Gott zeige Nachsicht mit meiner sündhaften Selbstsucht, denn am
meisten wurmt es mich doch, dass ich nun die gesamte Vorbereitung alleine
verrichten muss und dass ich im Wettstreit ohne meinen eigenen Singerknaben
dastehe.«
    Biterolf schlief lange nicht wieder ein, denn jetzt quälten ihn die
Gedanken, für die er um Mitternacht zu müde gewesen war: dass Dietrich nicht
verschwunden wäre, wenn er, Biterolf, nicht aus Eigennutz Klara gefolgt oder
zumindest rechtzeitig wieder in die Kapelle zurückgekehrt wäre. Und dass er
heute um sein Leben singen würde. Wie zwei Schalen einer Waage wog mal die
eine, mal die andere Sorge schwerer.
    Als er das nächste Mal erwachte, stand – als hätte er sie aus seinem
Traum mit in die Wirklichkeit genommen – Agnes in seiner Stube, schwarz gegen
das taghelle Fenster. In ihrer Hand hielt sie einige Beeren. Biterolf blinzelte
mehrmals.
    »Die Tür war nicht verschlossen«, sagte sie. »Ich wollte Euch nicht
wecken.«
    »Noch mehr Wacholder?«, brummte er.
    »Vogelbeeren«, sagte sie und legte die roten Früchte auf dem Tisch
ab.
    »Gegen welche eurer thüringischen Hexen und Kobolde helfen die?«
    »Gegen nichts dergleichen. Aber wenn man zwei, drei davon zerkaut,
macht es einem die Stimme

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