Krieg der Sänger
Gründung
Alexandrias bis zur Eroberung Babylons.«
Er räusperte sich. Seine Hände waren von einem kalten Schweißfilm
überzogen, aber die Finger wurden trocken und warm, sobald er zu spielen
begann.
Während Biterolf sang, begriff er allmählich und Strophe für Strophe
mehr, was für ein schrecklicher, schrecklicher Fehler nicht nur die Entscheidung
für das Alexanderlied gewesen war, sondern auch die Auswahl der vorgetragenen
Passage: eine Aneinanderreihung von gewonnenen Schlachten und gut
recherchierten, nichtssagenden Namen von Feldherren und Walstätten, die kein
Ende finden wollte. Kaum Dialoge, keine Überraschungen, wenig über den Menschen
Alexander, staubtrockene Verse. Altbackene Weisheiten und einfache Moral statt
Kämpfen und Gefühl. Biterolfs Worte waren gesungenes Papier. Er spürte, dass
keiner seiner Zuhörer sich auch nur einen Fußbreit nach Makedonien, Ägypten und
Persien entführen ließ. Niemand schloss die Augen, um von den Gestalten der
Antike zu träumen, ganz gleich, wie viel Nachdruck Biterolf auch in seine
Stimme legte. Alle betrachteten nur ihn und seine Fiedel. Er traute sich nicht,
diese Blicke zu erwidern. Vielleicht war sein Vortrag nicht langweiliger als
der des Schreibers, aber Biterolf hatte von diesem ein bereits gelangweiltes
Publikum übernommen. Er sang lauter und schneller. Am liebsten hätte er sein
Lied bei der nächsten Zäsur beendet, aber er konnte nicht, da er die Eroberung
Babylons bereits angekündigt hatte. Er sah, wie sich Klara gelegentlich zu
Reinmars Ohr herabbeugte, zweifellos um Biterolfs Lied zu loben, aber keine
Einflüsterung der Welt hätte den Alten davon überzeugen können, dass dieses
Historienwerk mehr war als Mittelmaß.
Biterolfs Blick fiel auf das Kapitell einer nahen Säule. Auf ihr war
ein Ritter abgebildet, der von einem Drachen verschlungen wurde. Nur der
Oberkörper ragte noch aus dem Drachenmaul heraus. So fühlte sich Biterolf.
Walther, der letzte Sänger des Tages, verzichtete auf eine
Vorrede. Stattdessen begann er, seine Harfe aus rotem Kirschholz nachzustimmen.
Biterolf hätte sich nie getraut, seinen Vortrag derart zu verzögern, und hatte
stattdessen auf einem unvollkommen gestimmten Instrument gespielt. Bei Walther
aber steigerte das atonale Gezupfe die Neugierde nur. Dann sang er Minne.
Walther war nicht darauf aus, sich beim Kampfrichter anzubiedern.
Seine Lieder konnten als direkter Kommentar oder sogar als Widerrede zu den
Liedern Reinmars verstanden werden. Reinmars Dilemma, eine hohe Herrin zu
lieben und niemals wiedergeliebt zu werden, setzte Walther zweierlei entgegen:
die Absage an die Hohe, Unerreichbare, Hartherzige – und die Erfüllung der
Minne mit geringeren Frauen, welche die Liebe, mit der man ihnen begegnete,
verdienten und erwiderten. Auch ohne Augenlicht
musste Reinmar spüren, dass Walther dabei nur ihn fixierte.
Biterolf wurde indes der Mund trocken. Und wenn er einen ganzen Sack
voller Vogelbeeren kaute, er würde nie so singen können wie Walther von der
Vogelweide, der in einem Vers sagte, was Biterolf in mehreren Strophen nicht
hätte ausdrücken können. Die Damen der Wartburg waren hingerissen: Innige,
gegenseitige Liebe schien auch ihnen mehr zu bedeuten als Rücksicht auf Rang
und Regeln.
Dass Walthers Auftritt nicht so vollendet war, wie er hätte sein
können, war die Schuld der anwesenden Ritterschaft. Gerhard Atze blieb zwar
sittsam und still, wie es ihm Landgraf und Kanzler aufgetragen hatten, aber
ganz offensichtlich hatte er die Böswilligeren seiner Kameraden dazu anstiften
können, Walthers Vortrag zu stören. Während es bei Biterolf und dem Schreiber
noch absolut ruhig gewesen war, mehrten sich nun das Räuspern, das Husten und
das auffällig laute Herumrücken von Stühlen und Bänken. Die strengen Blicke
Hermanns vermochten das Treiben zwar abzuschwächen, aber nicht vollends zu
zügeln.
Walther, der vollkommene Aufmerksamkeit gewohnt war, wurde durch
diese Sabotage so aus der Fassung gebracht, dass er sich mehrmals verspielte.
Vor lauter Wut wurde seine schöne Stimme brüchig, und Tränen traten ihm in die
Augen – was von den Damen wiederum als Indiz für die Wahrhaftigkeit seiner
Liebeslieder betrachtet und honoriert wurde. Walther brauchte alle
Konzentration, seinen Auftritt durchzustehen.
Aber der Angriff der Ritter blieb nicht unbeantwortet: Am Ende
seines eigentlichen Vortrags, nachdem der Applaus sich gelegt hatte, kündigte
Walther eine spontane Zugabe an; ein Lied,
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