Krieg der Sänger
misslungen war, eine unschuldige Seele vor dem Bösen zu
retten. Zwei schwarze, tote Augen schienen seinen Blick vorwurfsvoll zu
erwidern.
Nicht einmal in den Versen der Bibel fand er Trost. Das reine
Gottesbrünnlein war versiegt. Matthäus’ Worte und die eigene Verdolmetschung
lasen sich seltsam stumpf. Sicherlich, Jesus hatte in der Wüste der Versuchung
durch den Teufel widerstanden – aber nur mit Worten und Theorien, denen der
Teufel Taten und Wahrheiten entgegensetzen konnte. Das Böse siegt immer, wie
der Teufel wahrhaftig gesagt hatte. Der Hase war das beste Beispiel dafür. Und
es stimmte auch, dass Luther kaum mit der Bibel angefangen hatte; dass es also
keine Schande wäre, dieses erste Kapitel ins Feuer zu werfen, zumal für eine
Fortführung ohnehin die Tinte fehlte. Eine letzte Frage hatte Luther noch an
den Teufel. Sobald diese beantwortet wäre, würde er sich der Versuchung
ergeben.
Aber der Teufel kam nicht, obwohl es längst tiefe Nacht war. Luther
wurde ungeduldig. Als er das Warten nicht länger ertrug, wusste er sich
schließlich nicht anders zu helfen, als zum ersten und einzigen Mal in seinem
Leben den Teufel zu rufen. Nachdem er den Namen des Leibhaftigen zum dritten
Mal ausgesprochen hatte, erschien dieser wie in der Nacht zuvor in der Mitte
der Stube, lächelnd.
»Da bin ich«, sagte er.
»Warum kommst du erst jetzt? Hattest du anderweitig zu tun?«
Der Teufel schüttelte den Kopf. »Um ehrlich zu sein, habe ich dich
bewusst warten lassen. Ich konnte dem Kitzel einfach nicht widerstehen, mich
einmal von dir rufen zu lassen. Dass ich das noch
erleben darf! – Wie war dein Tag?«
Luther verzog das Gesicht. »Ich war Teil einer äußerst
verdrießlichen Hasenjagd.«
»Weshalb verdrießlich?«
»Ich mag es nicht leiden, diesen unschuldigen Geschöpfen beim
Sterben zuzusehen.«
»Herrje. Aber wenn der Hase gesotten vor dir auf dem Tisch liegt,
scheust du dich nicht, ihm die Rippen zu brechen und das Mark aus den Knochen
zu saugen«, entgegnete der Teufel. »Geschrieben hast du nicht, wie ich sehe.
Hast du denn viel über unsere sechs Sänger nachgedacht?«
»Ich sprach den hiesigen Amtmann darauf an, aber er wusste kaum
etwas vom Sängerstreit zu erzählen. Und von den Namen fielen ihm lediglich die
Walthers und Wolframs ein.«
»Versunken und vergessen«, murmelte der Teufel. Er sah sich in der
Stube um. »Der Ofen ist randvoll mit Holz, die Stühle stehen bereit, die Kerzen
sind erneuert, hier liegen abermals Haselnüsse, dazu ein Krug Wein, und unter
dem Tuch auf deinem Tisch verbergen sich zweifellos weitere Köstlichkeiten wie
Käse und Brot – ganz so, als hättest du mich gern zu Gast. Auch ich wünsche
beinahe, eine weitere Nacht mit dir zu plaudern. Aber machen wir es lieber
kurz: Bist du zu einem Schluss gekommen?«
»Eine Frage hat mich den Tag über umgetrieben.«
»Nur heraus damit.«
»Wann wurde das Todesurteil gegen Heinrich von Ofterdingen
vollstreckt?«
Der Teufel blinzelte – was Luther erstaunte, denn bis zu diesem
Moment waren seine Augen fortwährend geöffnet gewesen, ganz so, als besäße er
gar keine Lider. »Weshalb fragst du?«
»Weil du deine Erzählung vorzeitig abgebrochen hast. Du hast das
Köpfen des Ofterdingers ausgespart.«
»Du hast mich unterbrochen. So endete der Abend, wenn ich dich
erinnern darf.«
»Du sagtest, das Schwert wurde gefunden.«
»So ist es.«
»Und du sagtest, dass einer der sechs Sänger auf der Wartburg starb.
Aber du hast mit keinem Wort gesagt, dass es Heinrich von Ofterdingen war.
Also: Wann wurde Heinrich hingerichtet? Sag es mir.«
Der Teufel schwieg. Zum ersten Mal, seit Luther ihm begegnet war,
suchte er nach Worten und fand sie nicht, und den Teufel schweigen zu sehen –
ihn, den Verführer, den Wortverdreher, den Redekünstler mit den tausend Zungen! – war ein Triumph, der Luther mit allen Lebensgeistern durchflutete.
»Du Rattenfänger!«, wetterte er und musste gleichzeitig lachen über
den dreisten Versuch, ihn hinters Licht zu führen, und über seine eigene
Schwäche, darauf hereinzufallen. » Heinrich von Ofterdingen
wurde nie enthauptet! Deshalb hast du mir nicht alles erzählt! Deshalb
hast du das Ende der Erzählung geflissentlich ausgelassen, weil du zwar die
Fakten verdrehst und verwirrst, wie es dir gerade passt als Διάβολος, der Durcheinanderwerfer, aber weil
du bei alledem doch nicht die Unwahrheit sagen kannst!«
»Hätte ich dir alles erzählt, du würdest noch viel mehr an
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