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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Löhr
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tugendhaften Schreibers natürlich, der bei seinem Herrn
blieb.« Der Teufel machte mit beiden Händen eine luftige Geste, die Auflösung
des Sängerzirkels anzudeuten. »Wie du also siehst, ist deine Übersetzung der
Bibel nicht der erste auf der Wartburg unternommene Versuch, den Deutschen in
Zeiten der inneren Zerrissenheit eine Sprache zu
geben. Die großen Sänger des Mittelalters sind lange vor dir an einem
unmöglichen Vorhaben gescheitert, das der Landgraf nur deshalb so vollmundig
angekündigt hatte, um den Ofterdinger für sich einzunehmen.«
    »Ich werde den Deutschen eine Sprache
geben!«
    »Selbst wenn du es könntest: Was nutzt ihnen diese eine Sprache, wenn sie zwei Glauben haben? Dass sie sich in der gleichen Mundart darüber streiten können?
Dass sie die Verwünschungen perfekt verstehen, die sie einander an den Kopf
werfen?«
    »Ich lasse mich von dir nicht irre machen«, schrie Luther,
»doppelzüngige Schlange, gottlose!«
    »Gottlos nennst du mich? Einmal mehr: Gott hat mich geschaffen. Ich
bin ein Teil von ihm. Ich gehöre zu Gott wie die Sünde zur Vergebung.«
    »Ein Teil von Gott, du? Du bist die Finsternis – Gott aber ist das
Licht!«
    »Und? Sahst du je Licht ohne Schatten?«
    Luther blieb die Antwort schuldig. Er blickte auf ihrer beider
zitternde Schatten an der Wand über dem spinnengleichen Tintenfleck. »Was ist
mit Dietrich geschehen, dem Adlatus des Kanzlers?«, erkundigte sich Luther
dann, gedämpft, als ahne er die Antwort bereits.
    »Wie schön, dass du mich fragst«, antwortete der Schwarze und rieb
sich die Hände, »denn jetzt wird es wirklich unappetitlich. Der brave Bursche
hatte das große Unglück gehabt, am Vortag ein Gespräch seines Dienstherrn in
der Kanzlei zu belauschen; einen Fetzen lediglich, aus dem hervorging, dass der
Verlierer des Sängerstreits bereits feststand. Wer der zum Tode Verurteilte war, erfuhr Dietrich nicht, und ebenso wenig ahnte er
irgendetwas vom Komplott gegen den Ofterdinger – aber weil er davon überzeugt
war, dass es den Unbekanntesten der sechs treffen müsse, weil Hermann doch
sicherlich keinen der Großen hinrichten würde, wollte er Biterolf warnen und
ihm raten, noch in der Christnacht zu fliehen. Dem tugendhaften Schreiber aber
war in der Zwischenzeit nicht entgangen, wie fahrig und schreckhaft sein Helfer
geworden war, und er ging der Sache auf den Grund: Nachdem alle Münzen an das
Gesinde verteilt waren, ging der Schreiber zurück in die Kapelle, die Dietrich,
auf Biterolf wartend, als Einziger nicht verlassen hatte. Dort stellte der Herr
seinen Helfer zur Rede. Dietrich gestand schließlich, was er belauscht hatte,
worauf ihm der Schreiber befahl, sich nicht vom Fleck zu bewegen. Wenig später
kehrte er zurück in der Begleitung von Gerhard Atze – auf der Wartburg der Mann
fürs Grobe, wie du mittlerweile weißt –, um Dietrich ermorden zu lassen.«
    »Gott bewahre«, murmelte Luther ergriffen, als würde es gerade in
diesem Moment geschehen.
    »Sosehr der Schreiber die Fähigkeiten seines Adlatus schätzte,
wollte er doch keinesfalls riskieren, dass der schwatzhafte Dietrich die
Verschwörung durchkreuzte. Der Bursche wehrte sich mit Händen und Füßen gegen
Ritter Atze. Im Verlauf des Kampfes ging das Fenster zu Bruch, und dem
Schreiber wurde ein Zahn ausgeschlagen. Und weil man keine Blutspritzer auf den
Kirchenbänken wollte, tat Gerhard Atze etwas, das selbst mir allen Respekt
abnötigt: Er packte den Unglücklichen am Nacken und drückte sein Gesicht so
lange ins Taufbecken, bis keine Blasen mehr aufstiegen und kein Glied sich mehr
regte. Der bemitleidenswerte Dietrich wurde in geweihtem Wasser ersäuft. Eine
Todestaufe. Und das, wohlbemerkt, in der Heiligen Nacht.«
    »Das ist entsetzlich!«
    »Nicht wahr?«
    »Und dann?«
    »Als man ihn fand, tat man, was man in diesen Fällen immer tut: mich
für alles verantwortlich machen. Dass die tatsächlichen Mörder ungeschoren
davonkamen, muss nicht weiter erwähnt werden. Das Böse siegt immer.«
    Luther sah in den Ofen, wo die Nussschalen über der Glut qualmten
und knackten wie im Höllenpfuhl die Schädel der Sünder.
    »Wirfst du nun deine Verse dazu?«, fragte der Teufel. »Verbrennst du
dein Evangelium und ersparst Deutschland ein übles Schicksal?«
    »Nein.«
    »Du hast gelobt, es zu tun, wenn ich dich von der Bosheit der
Menschen überzeuge. Welche Opfer verlangst du noch? Herrje, genügt dir nicht,
dass ein Unschuldiger im Taufbecken ertränkt wurde?«
    »Ich

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