Krieg der Seelen: Roman (German Edition)
zwischen Gefrieren und Kochen nicht fertigwerden konnte. Man musste im Eis kühl bleiben, wenn man nicht kochen wollte. Die Alternative bestand darin, dem Druck nachzugeben, der einen sofort zerquetschen würde.
Es war natürlich alles relativ. Unter dem Gefrier- oder über dem Siedepunkt von was, und wo? Als Angehöriger der panmenschlichen Metaspezies war er an Wasser als Referenzmedium gewöhnt, und an flüssiges Wasser bei Standardtemperatur und normalem Druck, aber auch hier galt: Für wen entsprach die Temperatur dem Standard, für wen war sie normal?
Hier unten, in einem Wasserplaneten, unter hundert Kilometern warmen Ozeanwassers, verwandelte der ungeheure Druck des Meeres das Wasser erst in Matscheis und dann in Eis. Es war Hochdruck-Eis, nicht Tieftemperatur-Eis, aber es war immer noch Eis, und je weiter man sich dem Mittelpunkt des Planeten näherte, desto heißer und härter wurde das Eis, erhitzt von dem Druck, der das Wasser vom flüssigen in den festen Zustand zwang.
Trotzdem gab es Unvollkommenheiten und Unreinheiten im Eis: Brüche und Übergänge– manchmal nur ein Molekül dick– in den festen Strukturen, wo andere Flüssigkeiten zwischen die gewaltigen Eismassen geraten konnten.
Und wenn man sich hier entwickelt hatte, oder wenn man für ein solches Ambiente geplant worden war, gab es sogar die Möglichkeit, im Innern des Eises zu leben. Rankenschmal und so dünn, dass sie transparent waren, mehr weit ausgebreiteten Membranen als irgendwelchen Tieren ähnelnd, krochen sie durch die feinen Ritzen und Risse im Eis, suchten Nahrung in Form von Mineralien und anderen Verunreinigungen, oder– im Fall der Raubtiere in diesen Tiefen– lauerten den anderen Geschöpfen auf.
Er– was er jetzt war– hatte sich nicht hier entwickelt. Er war jetzt die Simulation eines Geschöpfs, eines an den Eisdruck dieser Wasserwelt angepassten Organismus. Mit anderen Worten: Er war nicht das, was er zu sein schien.
Er fragte sich allmählich, ob er das jemals gewesen war.
Das Eis im Innern des Wasserplaneten existierte eigentlich nicht. Das galt auch für den Wasserplaneten selbst, die Sonne, die er umkreiste, die Galaxis, zu der die Sonne gehörte, und alles andere, das real zu sein schien, wohin man den Blick auch richtete und in welche Fernen man ihn reisen ließ. Bei nahen Dingen verhielt es sich ebenso. Wenn man nahe genug an irgendetwas herankam, sah man die gleiche Körnigkeit wie im Realen. Die kleinsten Maßeinheiten waren in beiden Welten gleich, ob sie nun Zeit, Größe oder Masse betrafen.
Einige Leute zogen daraus den Schluss, dass auch das Reale nicht wirklich real war, nicht im Sinne des letzten nicht simulierten Grundgesteins der Tatsächlichkeit. Nach dieser Ansicht befanden sich alle in einer bereits vorher existierenden Simulation, ohne sich dessen bewusst zu sein, und die von ihnen geschaffenen und so überzeugenden, detailgetreuen virtuellen Welten waren nur Simulationen innerhalb einer Simulation.
Wahnsinn verbarg sich dort. Oder eine Art akzeptierende Mattigkeit, die ausgenutzt werden konnte. Es gab kaum bessere Methoden, Leuten die Entschlossenheit zu nehmen, als sie davon zu überzeugen, dass das Leben ein Witz war, eine von jemand anderem kontrollierte Erfindung, und dass nichts, was sie machten, irgendeine Rolle spielte.
Seiner Meinung nach bestand der Trick darin, die theoretische Möglichkeit nie aus den Augen zu verlieren, ohne sie auch nur für einen Moment annähernd ernst zu nehmen.
Diesen Gedanken hing er nach, während er mit den anderen über eine tausend Meter lange und viele Kilometer lange Bruchstelle im Eis glitt. Nach menschlichen Maßstäben hätte man in dieser Hinsicht vielleicht von Höhlenkletterei sprechen können, aber solche Begriffe ließen sich auf die derzeitigen Erfahrungen eigentlich nicht anwenden.
Er dachte von ihnen als verschiedene Fäden aus zähem Öl, das durch winzige Ritzen zwischen den Eisblöcken einer Welt sickerte, die er sich noch immer als einen festen Planeten mit Eis an den Polen und Gebirgen vorstellte.
Er befehligte eine kleine, aber schlagkräftige Einsatzgruppe, die aus dreißig Marines bestand, alle bestens ausgebildet und bewaffnet mit Gift, chemischen Mikrobomben und Lösemittel. Die meisten– vielleicht alle– Kämpfer und Maschinen, die er während der bisherigen subjektiven Jahrzehnte dieses großen Krieges gewesen war, hätten solche Waffen für lächerlich inadäquat gehalten, aber hier unten, wo der enorme Druck solche
Weitere Kostenlose Bücher