Krieg der Seelen: Roman (German Edition)
weigern, wenn das möglich war. Doch so wie sie die Hölle kannte, und die Art und Weise, wie sie funktionierte, bezweifelte sie, dass ihr solche Möglichkeiten zur Verfügung standen.
Die geflügelten Dämonen, die Chay eben aus der Nähe gesehen hatte, waren kleiner als sie. Vorn und an der Mitte ihrer Schwingen, dort, wo bei einem Zweibeiner die Daumen ihrer Hände sein mochten, hatte Chay hakenartige Krallen. Hinzu kamen spitze Zähne, starke Kiefer und Fußklauen, mit denen sich selbst dicke Baumstämme zermalmen ließen. Chay fragte sich, ob sie damit beginnen sollte, Dämonen zu töten.
Die unten erklingenden Schreie, der Geruch von Fleisch, das in Feuer verbrannte und sich zu Säure auflöste, die dahintreibenden Wolken aus giftigen Gasen… Das alles vertrieb Chay nach einer Weile.
Hinter ihr flog eine große schwarze Gestalt über die Landschaft.
Sie drehte den Kopf und beobachtete das große Käferwesen, das ihr folgte und zunächst einen Abstand von etwa hundert Metern wahrte, dann herankam, sich von einer Seite zur anderen neigte und abdrehte. Als Chay weiterflog, kehrte das Wesen zurück und wiederholte sein Bewegungsmuster. Beim dritten Mal folgte sie ihm.
Langsam schlug sie mit ihren ledrigen schwarzen Flügeln und schien in der Luft zu stehen, auf einer Höhe mit dem Gesicht des gewaltigen Überdämons, der sie vor einem Leben verspottet und getötet hatte.
Sein gewaltiger Laternenkopf war von innen erhellt, und die pulsierende Flammenwolke wechselte ständig das Erscheinungsbild, zeigte immer neue gequälte Gesichter. Die weit aufragenden Kerzen an jeder Ecke des quadratischen Kopfes zischten und knisterten, ihre knotigen Außenflächen durchzogen von den Nervensystemen der gepeinigten Seelen, die in ihnen steckten. Darunter zitterte der aus zusammengefügten Knochen, erodiertem, schwitzendem Metall, zerfransten Sehnen und blasigem, weinendem Fleisch bestehende Körper in der vom glühenden Thron aufsteigenden Hitze. Umhüllt von stinkenden, brennenden, ätzenden Rauchschwaden entstand im verglasten Laternenkopf für kurze Zeit ein erkennbares Gesicht.
Chay erkannte Prin. Ihr Herz, groß in der großen Brust, klopfte schneller. Für einen Moment erfüllte sie so etwas wie hoffnungslose Freude, doch fast sofort wich sie Elend.
Prin schenkte ihr ein kurzes Lächeln, bevor sich sein Gesicht in eine schmerzerfüllte Fratze verwandelte und verschwand. Eine scheußliche Grimasse ersetzte Prins Gesicht, blieb dort und grinste, während der riesige Dämon sprach.
» Willkommen zurück«, donnerte er, so laut, dass es Chay fast die Trommelfelle zerriss.
» Warum bin ich hier?«, fragte sie.
» Was glaubst du?«
» Ich werde nicht einer deiner Dämonen sein«, sagte Chay und überlegte, ob sie auf den Riesen zufliegen und versuchen sollte, ihm mit ihren Klauen die Augen auszukratzen, ihn zu verletzen. Für ein oder zwei Sekunden sah sie ein Bild, das ihr zeigte, wie der gewaltige Dämon sie mit einer seiner kolossalen Hände packte und sie darin zerquetschte. Ein weiteres Bild zeigte sie im Innern des Laternenkopfs, wie sie vor dem unzerbrechlichen Glas flatterte: die Flügel zerfetzt, die Kiefer gebrochen, Blut in den Augenhöhlen, halb erstickt im Rauch…
» Du wärst ein nutzloser Dämon, kleine Schlampe«, erwiderte der Gigant. » Deshalb bist du nicht hier.«
Chay schlug mit den Flügeln, schwebte vor ihm und wartete.
Der riesige Dämon neigte den Kopf zur Seite. Die vier Kerzen fauchten und schrien. » Das Verlangen, das du spürst…«
» Was ist damit?« Chay fühlte sich wieder elend. Was erwartete sie jetzt?
» Es ist das Verlangen zu töten.«
» Ist es das?« Sie beschloss, dem Riesen zu trotzen. Sofern das in der Hölle einen Sinn hatte. Genug Pein bedeutete, dass man mit dem Trotz aufhörte oder den Verstand verlor. Wenn man Glück hatte. » Der Tod, echter Tod, kommt in der Hölle einem Segen gleich«, erwiderte sie.
» Genau darum geht es!«, donnerte das Wesen. » Du darfst eine Person pro Tag töten.«
» Darf ich das?«
» Die Betreffenden sterben endgültig. Sie erleben keine neue Inkarnation, weder in dieser Hölle noch in einer anderen. Sie verschwinden für immer, werden gelöscht.«
» Warum?«
Der Riesendämon legte den Kopf nach hinten und lachte. Das Donnern seiner Stimme hallte über die Flammen und den Rauch im Tal weiter unten. » Um Hoffnung in die Hölle zu bringen! Du wirst ein Engel sein, Schlampe! Die gepeinigten Seelen werden dich anflehen, zu ihnen
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