Krieg der Seelen: Roman (German Edition)
zu kommen und sie von ihrem Leid zu erlösen. Sie werden dich verehren. Sie werden versuchen, dich mit Bitten, Gebeten und Opfergaben anzulocken, mit jedem abergläubischen Unsinn, von dem sie sich Erfolg versprechen. Du kannst dir aussuchen, wen von ihnen du mit dem Tod belohnen möchtest. Geh auf ihren Unfug ein oder achte nicht darauf. Lass die armseligen Mistkerle Komitees gründen, um demokratisch darüber zu entscheiden, wer sterben und damit dem Schmerz entkommen darf. Es ist mir scheißegal. Töte einen pro Tag. Du kannst versuchen, mehr zu töten, doch es wird nicht funktionieren. Die Betreffenden sterben, kehren dann aber in ein noch schlimmeres Leben zurück.«
» Und wenn ich niemanden töte?«
» Dann nimmt das Verlangen in dir immer mehr zu, bis es sich wie etwas anfühlt, dass sich aus dir herauszufressen versucht. Bis es unerträglich wird. Außerdem hätten die armen Wichte dann nicht mehr die Hoffnung, von dir erlöst zu werden.«
» Welchen Sinn hat es, eine Seele von dieser Unendlichkeit des Leids zu erlösen?«
» Es ist nicht unendlich!«, heulte das Geschöpf. » Die Hölle ist riesig, aber sie hat ihre Grenzen. Du bist gegen die oben am Himmel gestoßen, du dumme Schlampe. Flieg von mir aus, bis du die eisernen Mauern der Hölle findest, und sprich dann erneut von › Unendlichkeit‹. Endlich ist sie, die Hölle. Wahrhaft gewaltig, aber endlich! Und die Anzahl der gepeinigten Seelen in ihr ist begrenzt.«
» Wie viele…«
» Eintausendzweihundertfünfzig Millionen! Bist du jetzt zufrieden? Geh und zähl sie, wenn du mir nicht glaubst; es ist mir verdammt noch mal egal. Du fängst an, mich zu langweilen. Oh, ehe ich es vergesse: Es wird nicht nur ein Spaß für dich sein. Jedes Leben, das du beendest, hinterlässt etwas von seinem Schmerz in dir. Je öfter du tötest, desto mehr Schmerz erfährst du. Schließlich sollten sich die Pein des stärker werdenden Verlangens und der angesammelte Schmerz von den erlösten Seelen die Waage halten. Vielleicht verlierst du erneut den Verstand, aber darum kümmern wir uns, wenn es so weit ist. Bis dahin dürfte mir etwas noch Angemesseneres für dich eingefallen sein.« Der König der Dämonen schloss seine Pranken um die Enden der rot glühenden Armlehnen und beugte sich vor. Chay schlug etwas stärker mit ihren Schwingen und wich zurück. » Verschwinde jetzt und fang an zu töten.« Der Riese winkte mit einer gewaltigen Hand.
Chay schluckte und spürte, wie Übelkeit in ihr hochstieg. Das schrecklich intensive Verlangen zu fliegen zerrte an Flügeln und Brustmuskeln, doch sie widerstand ihm und schlug weiterhin ruhig mit den Schwingen.
» Prin!«, rief sie. » Was ist mit Prin geschehen?«
» Was? Mit wem?«
» Prin! Mit meinem Partner, der mich hierher in die Hölle begleitete! Sag mir, was mit ihm geschehen ist, und ich tue, was du willst.«
» Du wirst ohnehin tun, was ich will, du verdammte Schlampe!«
» Sag es mir!«
» Töte tausend für mich, und ich denke darüber nach.«
» Versprich es!«, heulte Chay.
Der riesige Dämon lachte erneut. » Ich soll es › versprechen‹? Du bist in der Hölle, du hirnlose Idiotin! Warum sollte ich dir etwas versprechen, wenn nicht aus Freude daran, das Versprechen später zu brechen? Mach dich auf den Weg, bevor ich es mir anders überlege und dir allein aus Spaß deine verdammten Flügel breche. Komm zurück, wenn du zehnmal hundert Seelen ihrem unverdienten Ende überantwortet hast, und dann überlege ich mir, ob ich dir von deinem kostbaren › Prin‹ erzähle. Hau ab!« Der Dämonenkönig hob die Arme, und seine Pranken kamen von beiden Seiten, als wollten sie Chay zwischen sich zermalmen.
Sie wich fort, glitt zur Seite, flog in einem Bogen und blickte furchterfüllt zu dem riesigen Dämon auf seinem glühenden Thron zurück. Rauchschwaden umwogten die gigantische Gestalt, als sie sich zurücklehnte und erneut ihr donnerndes Lachen erklingen ließ.
Sie tötete ihr erstes Opfer an jenem Abend, als das bereits schwache Licht zu einem rötlichen, sonnenlosen Glühen wurde. Es war eine junge Frau, halb von rostigem Stacheldraht aufgespießt, oben an einem kalten Hang über einem kleinen Säurebach. Sie unterbrach ihr unentwegtes Stöhnen nur, wenn sie genug Atem für einen Schrei fand.
Chay landete und hörte, wie die Frau zu sprechen versuchte. Doch die Laute, die von dem kläglichen Geschöpf kamen, ergaben keinen Sinn für sie. Eine Zeit lang zögerte sie und sah sich nach etwas
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