Krieg der Seelen: Roman (German Edition)
bis sie schließlich zum Oberhaupt der Gemeinschaft wurde. Die ganze Zeit über führte sie Tagebuch, in dem sie alles aufschrieb. Sie sang Lieder in der Kapelle und fand Trost in den Ritualen des Glaubens. An einer Stelle ermahnte sie eine Novizin wegen ihres Mangels an Glauben, so wie sie selbst vor Jahren ermahnt worden war, und Prin glaubte zu erkennen, wohin dies führte.
Doch dann, auf dem Sterbebett, gab Chay zu erkennen, dass sie sich nicht geändert hatte, dass ihr frommes Gebaren nicht Ausdruck eines verinnerlichten Glaubens war. Er weinte ein wenig und war stolz auf sie, obwohl er wusste, dass derartiger nachempfundener Stolz reine Sentimentalität war, vermutlich nur der Versuch, sich etwas von ihren Leistungen zu eigen zu machen. Trotzdem.
Er sah auch, wie sie zu einem Engel des Todes wurde, der Leidende von ihrem Leid erlöste, einen pro Tag, und dabei jeweils einen kleinen Teil ihres Schmerzes übernahm, was dazu führte, dass sie selbst litt, durch ihr eigenes Tun, und gleichzeitig zu einem Objekt der Verehrung wurde, zum Mittelpunkt eines Totenkults in der Hölle, zu dem Wunder wirkenden Messias eines neuen Glaubens. Man benutzte sie, um ein wenig Hoffnung in die Hölle zu bringen, einen Glücklichen pro Tag für immer von Pein und Qual zu erlösen und damit gleichzeitig das Leid der zurückbleibenden Mehrheit zu vergrößern.
Prin war recht beeindruckt. Welch eine gerissene, diabolische Methode, eine verrückt gewordene Person zu benutzen, um dafür zu sorgen, dass andere bei Verstand blieben, damit sie effizienter gepeinigt werden konnten.
Ein Blinzeln, und er befand sich wieder in Erruns Büro.
» Wenn ich das alles einfach so glauben soll…«, sagte Prin. » Es gewährt einen faszinierenden Einblick in die Psyche der Betreffenden. Dies ist also Ihr Vorschlag?«
Der alte Repräsentant starrte ihn einen Moment verblüfft an und fasste sich dann wieder. » Verzichten Sie darauf, bei jener Anhörung Ihre Gesellschaft zu erniedrigen und zu beschämen, Prin«, sagte er. » Maßen Sie sich nicht an, es besser zu wissen als viele Generationen Ihrer Vorfahren. Geben Sie nicht dem Wunsch nach, sich in Szene zu setzen. Sagen Sie nicht aus, nur darum bitten wir sie. Dann wird Chay freigelassen.«
» Freigelassen? Wie meinen Sie das?«
» Dann kann sie zurückkehren, Prin. Zurück ins Reale.«
» Hier im Realen gibt es bereits eine Chayeleze Hifornstochter, Repräsentant.«
» Ich weiß.« Errun nickte. » Und mir ist auch bekannt, dass es wahrscheinlich keine Möglichkeit gibt, die beiden Chays wieder zusammenzuführen. Aber sie könnte in einem durch und durch angenehmen Jenseits weiterleben. Wenn ich richtig informiert bin, gibt es Hunderte von verschiedenen Himmeln, und darunter lässt sich bestimmt einer finden, der nach ihrem Geschmack ist. Und da wäre noch eine andere Möglichkeit. Man könnte Chay einen neuen Körper geben, ihr einen wachsen lassen, extra für sie.«
» Ich dachte, so etwas ist gesetzlich verboten«, sagte Prin und lächelte.
» Das stimmt, Prin, aber Gesetze können geändert werden.« Diesmal lächelte Errun. » Das machen wir, die wir glücklich genug sind, unserem Volk als Repräsentanten zu dienen.« Er wurde wieder ernst. » Ich kann Ihnen versichern, dass es keine Hindernisse dabei geben wird, Chay einen geeigneten Körper zur Verfügung zu stellen. Absolut keine.«
Prin nickte und hoffte, dass er nachdenklich wirkte. » Und ob sie nun im Himmel endet oder einen neuen Körper bekommt«, sagte er. » Es bleiben keine Reste ihres Bewusstseins in der Hölle zurück?« Die Frage bescherte Prin sofort Schuldgefühle. Er, nicht der Senator, wusste bereits, wie dies ausgehen würde, und es war ein wenig grausam, dem alten Mann falsche Hoffnung zu geben. Natürlich nur ein bisschen. Im Zusammenhang mit den Dingen, über die sie sprachen, verlor sich dieses bisschen in Bedeutungslosigkeit.
» Ja«, bestätigte Errun. » Es werden keine Reste von Chays Bewusstsein in der Hölle zurückbleiben.«
» Und ich brauche nur auf eine Aussage zu verzichten?«
» Ja.« Der Repräsentant wirkte onkelhaft und ermutigend. Er seufzte und machte eine Müdigkeit zum Ausdruck bringende Geste mit beiden Rüsseln. » Oh, später bitten wir Sie vielleicht, etwas von dem zurückzunehmen, was Sie bereits in der Öffentlichkeit gesagt haben, aber lassen wir das zunächst.«
» Was die Quälereien betrifft?«, fragte Prin und versuchte, nur vernünftig und pragmatisch zu klingen. » Und wenn
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