Krieg der Seelen: Roman (German Edition)
auf und davon macht… Das ist in diesem Zusammenhang ein geringer Preis.«
Ein Donnern wies darauf hin, dass Veppers mit seinem Flieger gestartet war. Demeisen drehte den Kopf und sah Lededje an.
» Sie verlogenes, wankelmütiges, untreues Arschloch«, sagte sie.
Der Avatar schüttelte den Kopf und wandte sich an die Botschafterin. » Die Jugend von heute, nicht wahr?«
28
C hay hing an ihrer Ruhestange im Innern der großen, dunklen Frucht, als geschah, was geschah.
Sie hatte sich langsam gestreckt, entfaltete erst den einen Flügel und dann den anderen– knarrend, mit knirschenden Gelenken, kratzenden Sehnen; die lederne Haut fühlte sich an, als könnte sie jeden Moment reißen–, drehte anschließend den Hals, so gut es ging, und nahm dabei die Proteste ihrer Wirbelsäule zur Kenntnis, die mit Sand gefüllt zu sein schien. Vorsichtig streckte sie erst das eine Bein und dann das andere, öffnete dann nacheinander die Klauen.
Plötzlich schien die Luft zu erbeben, wie von der vorbeiziehenden Druckwelle einer fernen Explosion.
Die Frucht um sie herum begann zu zittern und kam dann so abrupt zur Ruhe, als sei der Schlag, der sie getroffen hatte, aus der Realität getilgt worden.
Chay begriff sofort, dass etwas Seltsames und Einmaliges passiert war, etwas, das auf eine existenzielle Veränderung ihrer Umgebung und vielleicht sogar der Hölle hindeutete. Sie dachte an den Fehler, an die silberne Spiegelbarriere, an den Flicken, wo Landschaft entfernt worden war.
Sie wusste nicht, wie viele Leben sie seit ihrer Rückkehr als Engel des Todes ausgelöscht, wie viele Seelen sie damit befreit hatte. Zu Anfang hatte sie zählen und für jeden Toten einen Strich in die Wand ihres Schlafplatzes kratzen wollen, aber das war ihr irgendwie zu kalt erschienen. Daraufhin hatte sie versucht, geistig mitzuzählen, hatte aber mehrmals den Überblick verloren und dann für lange Zeit geglaubt, dass die genaue Anzahl keine Rolle spielte. Die letzte Zahl, an die sie sich erinnerte, lautete dreitausendachthundertfünfundachtzig, aber das lag schon eine ganze Weile zurück. Inzwischen waren es vermutlich doppelt so viele Seelen, die durch sie Erlösung gefunden hatten.
Jeder Tod, jeder Tag, ließ ihre Schmerzen ein bisschen wachsen. Chay existierte in einer Art ständiger Benommenheit, geschaffen von schmerzenden Gliedmaßen, überempfindlicher Haut, wunden Sehnen und Eingeweidekrämpfen. Manchmal wollte sie glauben, dass es ihr gelang, die zunehmende Qual zu ignorieren, wusste aber, dass sie sich damit etwas vormachte. Die Schmerzen waren die ganze Zeit über da, ob sie schlief oder wachte, und sie folgten ihr auch in die Träume. Oft träumte sie davon, dass ihre Körperteile abfielen oder ein eigenes Leben entwickelten, sich von ihr losrissen und wegflogen oder fielen, gingen, davonkrochen und sie schreiend und blutüberströmt zurückließen.
Jeden Tag war es eine Mühsal, ihren Schlafplatz zu verlassen und über die dunkle Landschaft des Verderbens zu fliegen, auf der Suche nach einer weiteren Seele, die sie erlösen konnte, und es dauerte immer länger, bis sie eine fand.
Einst war sie voller Freude geflogen, denn das Fliegen machte selbst hier in der Hölle Spaß und fühlte sich nach Freiheit an für einen Vierbeiner, der sein ganzes Leben gehorsam auf dem Boden verbracht hatte. Natürlich musste man zuerst seine Höhenangst überwinden, und das war Chay bereits während ihres Lebens im Konvent auf einem hohen Felsen gelungen.
Einst hatte sie weite Streifzüge unternommen und war davon fasziniert gewesen, ihr unbekannte Regionen der Hölle zu erkunden. Fast immer war sie von ihren Entdeckungen entsetzt gewesen, ganz gleich, wohin sie flog und was sie fand, aber das änderte nichts an ihrer Faszination. Erst die Geografie, dann die Logistik und schließlich der abscheuliche sadistische Einfallsreichtum, der in verschiedenen Teilen der Hölle Ausdruck fand… Das alles fesselte den neugierigen Geist. Chay hatte immer wieder Gebrauch von der Möglichkeit gemacht, über den Boden zu fliegen, auf dem andere kriechen, humpeln, taumeln und kämpfen mussten.
Inzwischen war das alles Vergangenheit. Nur noch selten entfernte sie sich weit von ihrem Schlafplatz, um zu töten und zu fressen; meistens wartete sie, bis der Hunger so quälend wurde, dass ihr keine Wahl blieb. Es war eine schwierige Balance zu entscheiden, wann die bohrende Leere im Magen ihr im Laufe des Tages größere Beschwerden bereitete als die Schwärme
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