Krieg der Seelen: Roman (German Edition)
und Scharen der immer präsenten Schmerzen, die ihr wie eine bizarre parasitäre Infektion erschienen.
Ihr Ansehen als Seelen erlösender Engel hatte gelitten. Noch immer kamen von überall Leute, in der Hoffnung auf Befreiung von ihren Qualen, aber man verehrte Chay nicht mehr so wie vorher. Sie erschien nicht mehr überall und jedem. Die Verehrer mussten in der Lage sein, zu ihr zu kommen, und dadurch veränderte sich alles. Sie war zu einem lokalen Dienst geworden.
Die Dämonen, so schien es, hatten gelernt und waren so klug geworden, dafür zu sorgen, dass gewisse Individuen, die erlöst werden sollten, zu ihr gebracht wurden. Chay wagte nicht daran zu denken, welche abartigen Gegenleistungen die Dämonen dafür verlangten. Eigentlich spielte es auch gar keine Rolle mehr. Sie gab sich damit zufrieden, dass sie tatsächlich diese oder jene besondere Seele von ihren Qualen erlöste, und gleichzeitig war es etwas, das zu ihrem Leben gehörte, das sie tun musste, ob sie wollte oder nicht.
Das letzte interessante Erlebnis hatte sie beim Besuch des Dämonenkönigs gehabt. Sie hatte über den von ihr entdeckten Fehler in der Hölle nachgedacht, über den aus Hügeln, Klippe und Fabrik bestehenden Teil, der einfach verschwunden war, und nach wochenlangem Zögern hatte sie schließlich genug Kraft gesammelt, um dorthin zu fliegen, wo der gewaltige Dämon auf seinem heißen Thron saß, und ihn zu fragen, was geschehen war.
» Ein Defekt«, donnerte er, als sie, voller Schmerzen, vor ihm mit den Flügeln schlug und immer noch darauf achtete, den großen Pranken nicht zu nahe zu kommen. » Etwas ging schief und tilgte alles aus dem betreffenden Gebiet. Landschaft, Gebäude, Dämonen, die Gepeinigten, alles hörte auf zu existieren. Von einem Augenblick zum anderen sind mehr unwürdige Sünder erlöst worden, als du bei deiner Arbeit für mich befreit hast! Ha! Verschwinde jetzt und belästige mich nicht mit Dingen, über die selbst ich keine Kontrolle habe!«
Und jetzt dies.
Chay fühlte sich anders. Die Frucht mit ihrer Ruhestange fühlte sich anders an, und ihr war, als lösten sich all die Schmerzen, die sich im Lauf der Jahre angesammelt hatten, langsam auf. Eine Woge der Erleichterung und des Wohlbehagens erfasste sie, von fast sexueller Qualität, so intensiv wie ein Orgasmus, brandete in ihr hoch, als wäre sie ebenso hohl wie die Frucht, in der sie an ihrer Ruhestange hing. Nach und nach schwand dieses Empfinden, und danach fühlte sie sich sauber und gut, zum ersten Mal seit langer, langer Zeit.
Sie stellte fest, dass sie die Ruhestange losgelassen hatte, sich aber noch immer an Ort und Stelle befand. Auch ihr Körper schien anders zu sein, nicht mehr so groß, kräftig und schrecklich– sie war nicht länger der dunkle Engel des Todes. Chay versuchte, einen Eindruck von sich zu gewinnen, und merkte dabei, dass sie nicht richtig erkennen konnte, was aus ihr geworden war. Das Bild, das ihr die Augen zeigten, wirkte verpixelt, unscharf. Sie hatte einen Körper, der jedoch irgendwie alle Möglichkeiten eines Körpers zu enthalten schien: Sie war gleichzeitig Vier- und Zweibeiner, Vogel, Fisch, Schlange… und andere Arten von Wesen, darunter einige, für die sie keine Namen hatte. In gewisser Weise schien sie ein Embryo zu sein, dessen Zellen so sehr auf Teilung konzentriert waren, dass sie noch gar nicht entschieden hatten, was schließlich aus ihnen werden sollte.
Sie schwebte zum Rand der Frucht. Alles sah anders aus und fühlte sich auch anders an: kleiner, stiller– es herrschte völlige Stille–, und es fehlte der grässliche Gestank, dem sie seit ihrer Rückkehr ausgesetzt gewesen war. Die Luft im Innern der Frucht war vollkommen neutral und geruchlos, und diese Abwesenheit von Gerüchen erschien ihr nach dem endlos langen Gestank wie die herrlichste und frischeste Bergwiesenbrise.
Allerdings wies die Frucht keinen Ausgang mehr auf, nicht einmal unten, wo zuvor ein Loch gewesen war. Das beunruhigte sie weniger, als sie angenommen hätte. Die Wände waren weder weich noch hart; sie ließen sich nicht berühren. Chay versuchte, sie zu erreichen, aber es fühlte sich an, als gäbe es vor ihr eine Barriere aus absolut durchsichtigem Glas. Sie war nicht einmal sicher, welche Farbe die Wände hatten.
Oh, wie groß war die Erleichterung, keine Schmerzen mehr zu haben.
Sie schloss die Augen und fühlte, wie alles in ihr sich entspannte und lockerte, in eine Art statischen Bereitschaftsmodus
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