'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'
nicht weiter ausführen und erwähne es hier nur, weil es mit folgender zukunftsweisender Ferienabschlussgeschichte zu tun hat.
Toms Freunde Paul und Felix waren zu Besuch, und wie wir so zwischen zwei Fußballmatches Eis schleckend die Zeit verbummelten, platzte mein Sohn plötzlich heraus: »Ich will auch mal Kinder!«
Alle sahen ihn entgeistert an. Dann sagte Felix: »Dann musst du dich aber in ein Mädchen verknallen, und das ist voll eklig.«
»Das stimmt«, sagte Tom ernst, »aber was soll ich machen? Ich will mal Fußballer werden.« Diesmal sagte keiner was, weswegen Tom die großartige Erklärung nachschob: »Fußballer brauchen Kinder. Zum Ins-Stadion-Einlaufen!«
Na, das kann ja heiter werden – aber bitte nicht so bald! Meinetwegen dürfen bis dahin gerne noch viele Sommerferien vergehen.
(Vielleicht sollte ich die Fleckenhemden doch aufheben.)
St. Martin auf Umwegen
Mein Sohn Tom bringt immer wieder sprachlichen Unrat von der Schule mit nach Hause. Das reicht von Schimpfwörtern über schmutzige Reime bis hin zu völlig unverständlichen Slangausdrücken. Erstere werden von mir geahndet, Letztere lassen mich fassungslos zurück.
Tom sagt Dinge wie »Pupsbacke« oder »Windelgesicht«. Ich verbiete ihm das. Tom sagt, dass in der Schule alle so reden. Ich sage, dass das kein Grund ist und was denn seine Lehrerin dazu meint. Tom sagt: »Ach die, die ist doch total Moped!« Wie bitte!? Wenn Tom besonders witzig sein will, sagt er: »Papa, sag mal Klettergerüst.«
Ich: »Klettergerüst.«
Er: »Du hast ’ne nackte Frau geküsst.«
Dann lacht er sich kaputt. Worauf ich sage, dass nackte Frauen küssen toll ist, besonders, wenn es sich um seine Mutter handelt.
Tom sagt: »Argh!«
Ich frage, ob die Mama auch »total Moped« sei.
Tom: »Die doch nicht, die ist schlock.«
Verstehe das, wer will.
Letztens hat Tom nun ein schlimmes Lied von der Schule mit nach Hause gebracht, eine unflätige Verballhornung des St.-Martins-Liedes.
Bevor sich jemand aufregt ... ich kann da nichts dafür. Kinder sind so oder die Schule ist dran schuld oder weiß der Geier. Von mir hat er das jedenfalls nicht.
Aber ich muss zugeben, dass ich das Verhohnepiepeln gerade von Liedern oder Gedichten spannend finde, denn sie entstehen wie aus dem Nichts, sie sind einfach irgendwann da, keine Ahnung, wer sich die ausdenkt.
Ein Beispiel: Vor längerer Zeit – noch im Kindergarten – sollte Tom ›Leise rieselt der Schnee‹ singen. Natürlich sang er:
»Leise rieselt die Vier / auf das Zeugnispapier / hör nur wie lieblich es schallt / wenn Papas Ohrfeige knallt!«
Unfassbar! Tom war im Kindergarten! Er hatte keine Ahnung, was ein »Zeugnis« überhaupt sein könnte, geschweige denn, dass er je eine Ohrfeige von mir erhalten hat. Aber das Lied war da, das habe ich als Kind sogar schon gesungen.
Wahrscheinlich sind die Verballhornungen so alt wie die Originale selbst, die Frage lautet demnach:Wer bringt sie den Kindern immer wieder bei (wenn ich es nicht bin)?
Und das Fatale daran ist: Man behält die Umdichtungen besser im Gedächtnis als das Original, Schillers »Bürgschaft« zum Beispiel:
»Zu Dionys, dem Tyrannen schlich / Damon, den Dolch im Gewande ...«
Noch heute kommt mir als Erstes der legendäre Reim in den Kopf: »Was willst du mit dem Dolche? Sprich! / Kartoffeln schälen, stör mich nicht.«
Habe ich als Kind von der Schule mit nach Hause gebracht und mein Vater kannte es noch aus seiner Kindheit in den 50er-Jahren. Wo kommt das her?
Im Lexikon steht: Schillergedichte, aber auch Volkslieder, gehörten zur »Hochkultur«, ihnen käme von daher »Deutungshoheit« zu, also »Macht«. Man müsse sie auswendig lernen. Darauf reagierten die »Beherrschten«, also die Kinder, durch »Umdeutungen niederkultureller Art«.
So weit die Wissenschaft. Verballhornungen sind also »Machtkritik«. Toll, nicht?
Wobei das jetzt alles keine Entschuldigung sein soll für das schlimme St.-Martins-Lied, das Tom aus der Schule mitgebracht hat. Es muss neueren Datums sein, ich zumindest kannte den Text noch nicht. Festhalten und los geht’s:
»Sankt Martin, Sahankt Martin, Sankt Martin ritt durch Pommes und Salat / sein Ross blieb stehn vormCola-Automat. / Sankt Martin warf die Münze ein / und trank die Cola wie ein Schwein.«
Es tut mir wirklich schrecklich leid, aber Tom und seine Freunde haben das so gesungen. Und sie können Dutzende Strophen:
»Im Schnee – da, im Schnee – da, im Schnee – da saß ein
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