Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'

'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst'

Titel: 'Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jess Jochimsen
Vom Netzwerk:
mir meinen Teil. Ich schaffe es nicht zu sagen: »Kinder darf man niemals schlagen, du Arschloch!« Ich schaffe es nicht zu erzählen, dass mein Sohn Tom nach nur drei Stunden das Klavierspielen wieder aufgab und ich das o.k. fand. Ich schaffe es nicht einzuwerfen, dass der Druck, der auf den Kindern lastet, ausschließlich erwachsenengemacht ist und dass man dagegen was tun könnte. Ich sage nichts, Feigheit vor dem Freund. Ich höre nur zu und fühle mich grässlich.
    In der Runde überlegt ein Ehepaar laut, ob es sich ein Pferd anschaffen solle. Wegen der Kleinen. Unterbringung sei kein Problem, »die kümmern sich echt um alles«, und so teuer sei es jetzt auch nicht.
    Mir fällt ein Satz von Heiner Link ein.
    »Wer sich heutzutage ein Pferd kauft, erklärt sich mit den herrschenden Zuständen einverstanden.«
    Dann stehe ich wortlos auf und gehe. Man kann sich seine Freunde aussuchen.

Familienpolitik
    Mein Sohn Tom verblüffte mich mit einer ausgesprochen denkwürdigen familienpolitischen Aussage. Aufgeregt kam er aus der Schule und erklärte:
    »Fast alle Eltern in der Klasse sind verschieden, nur du und Mama nicht!«
    »Hoppla, Sohn, ganz langsam, was liegt an?«
    »Ich will, dass ihr auch verschieden seid!«
    »Aber das sind wir doch. Wenn du wüsstest ... deine Mutter und ich, wir sind manchmal so was von verschieden ...«
    »Gar nicht! Ihr seid geheiratet!«
    »Oha. Und ... du fändest es also besser, wenn wir das nicht wären?«
    »Ja. Dann hätte ich auch zwei Kinderzimmer und dürfte alleine Straßenbahn fahren.«
    Das ist natürlich ein ernsthaftes Problem. So leid mir das jetzt für Kirche und Konservative tut, aber bei uns vollzieht sich gerade ein Paradigmenwechsel.Achtundzwanzig Kinder gehen in die Klasse meines Sohnes, bei 20 von ihnen leben die Eltern getrennt oder sind, wie Tom es sagt, »alleinrumerziehend«.
    Und irgendwie finden die Kinder das »millionentausendmal besser«. Felix, zum Beispiel, hat nämlich jetzt doppelt so viel Spielzeug wie früher, weil er sowohl im Haus seiner Mutter als auch in dem seines Vaters ein beinahe identisches Kinderzimmer besitzt, und Luka darf einmal in der Woche »ganz alleine« mit der Bahn seinen Papa besuchen, außerdem sind da jetzt »neue Partner«, von denen es »dauernd Geschenke« gibt, von zweimal Urlaub und zweimal Weihnachten ganz zu schweigen, überhaupt ist »bei denen« immer was los, nur Tom hat diese langweiligen, biederen, normalen Eltern. Geheiratet eben. Und nicht verschieden.
    Manchmal stimmen mich die Wortdreher meines Sohnes doch nachdenklich: Gibt man mit der Heirat wirklich seine »Verschiedenheit« auf? Wird man zu einem Paar, das sich erst trennen muss, um wieder zu zwei »verschiedenen« Menschen zu werden?
    Wenn ich nachdenklich werde, werde ich gern mal wütend: Mein Rabensohn möchte die Keimzelle des Staates zerstört sehen! Tom will ein Scheidungskind sein! Das kann ja wohl nicht angehen. Dir werd ich’s zeigen!
    Wenn ich wütend werde, werde ich gern mal doof. Ich berief eine Familienkonferenz ein und legte los:
    »So, Tom. Du findest also, dass Luka und Felix es besser haben als du.«
    »Ja.«
    »Gut ... dann lassen wir uns auch scheiden!«
    »Spitze«, jubelte Tom.
    »Ich behalte das Haus und den Wagen«, grinste meine Frau, aber ich war nicht zu bremsen.
    »Tom, das heißt, dass ich ausziehe!!«
    »Super. Wohin?«
    »Na ... weg!«
    »Kann man da mit der Straßenbahn hinfahren?«
    Und dann sagte ich doch glatt den dümmsten Filmsatz aller Zeiten:
    »Ich ... ich ziehe wieder zu meiner Mutter!«
    Habe ich dann natürlich nicht gemacht. So »verschieden« wollte ich doch nicht sein. (Außerdem fährt da keine Straßenbahn hin.)

Mit Sicherheit
    Sommer! Wieder ein Jahr um!
    Die Schule zwingt uns zu einer kalendarischen Neuorientierung: Das Jahr beginnt im September und endet im Juli – dazwischen sind Ferien, wir holen Luft und betreiben Nabelschau. Es war kein schlechtes Jahr:
    Tom wächst und gedeiht, er ist »ein offener, freiheitsliebender und herzlicher Junge« (sagt die Lehrerin), er ist »die Zukunft des deutschen Mittelfelds« (sage ich), er bringt okaye Noten nach Hause (außer in Religion und Werken, aber wer braucht das schon), er isst, was wir ihm vorsetzen (solange er es in Ketchup ertränken darf), er geht immer und ohne zu murren ins Bett (hahaha), und überhaupt findet er sich, sein Leben und sogar seine Eltern meist prima (zumindest lehnte er das Angebot seines Kumpels Paul, die Erziehungsberechtigten zu

Weitere Kostenlose Bücher