Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens
Beschäftigung und Wohlstand sein müssen und dass Rechtsstaatlichkeit und Demokratisierung die beste Garantie für eine bessere wirtschaftliche Entwicklung sind.
Was Ägypten braucht, ist eine fortschrittliche Verfassung, welche die Autorität des Präsidenten einschränkt und die friedliche Machtübergabe garantiert. In Deutschland kam es 1918/1919 zu einer Revolution gegen die Monarchie, die in eine labile Demokratie mündete, die wiederum in einer Diktatur endete, weil Deutschland keine Verfassung hatte, die Hitler hätte verhindern können. Erst mit der Verfassung von 1949 konnte eine stabile Demokratie in der Bundesrepublik aufgebaut werden. Parallel dazu entwickelte sich die deutsche Wirtschaft in einer Weise, welche die Mittelschicht stärkte und mehr Beteiligung der Frauen ermöglichte. Rechtsstaatlichkeit und eine gesunde Wirtschaft sind auch das, was die meisten Ägypter nun wollen, und genau das erwarten sie von einer gewählten Regierung, unabhängig davon, welche ideologische Ausrichtung sie hat.
Deshalb kann die Muslimbruderschaft, sollte sie tatsächlich an die Macht kommen, Ägypten nicht in einen Iran verwandeln, denn Ägypten verfügt nicht über große Erdölreserven, von denen es leben könnte, auch wenn es sich von der Welt abschottet. Ägypten lebt vom Tourismus, vom Sueskanal, von ausländischen Investitionen sowie vom Export von Agrarprodukten. Im Falle einer Islamisierung iranischen Stils würden einige dieser Einnahmen entfallen, andere massiv zurückgehen. Deshalb ist es eher zu erwarten, dass sie nicht den Kurs von Ahmadinedschad, sondern eher den von Erdogan fahren, um die Bevölkerung nicht zu enttäuschen und um die Armee sowie die Amerikaner nicht zu verärgern.
Die Rückkehr des umstrittenen Predigers Yussuf al-Qaradawi nach Kairo eine Woche nach dem Sturz Mubaraks und seine Predigt auf dem Tahrir-Platz verfolgten die westlichen Medien mit großer Aufmerksamkeit. Der ägyptische Khomeini sei zurückgekehrt und würde die Revolution entführen, befürchteten viele. Dass al-Qaradawi in Ägypten nicht besonders beliebt ist, weil er die Diktatoren in den arabischen Ländern kritisiert, aber kaum etwas zu den Herrschern am Golf sagt, wissen die wenigsten. Von dem alten al-Qaradawi hat man seitdem in westlichen Medien kaum noch etwas gehört. Dass er zwei Tage später Ägypten wieder verließ und nach Katar zurückkehrte, wo er sein Geld als Fernsehprediger verdient, interessiert keinen Menschen. Sein Besuch auf dem Tahrir-Platz war eine logische Folge der Befreiung. Der Platz wurde lange als eine Bühne der Freiheit umkämpft. Als die Bühne frei wurde, wollte jeder Clown seine Show abziehen. Nicht nur al-Qaradawi hat auf dem Platz eine Rede gehalten, sondern alle Oppositionellen, die früher Redeverbot in Ägypten hatten. Auf dem Tahrir-Platz wurde zum Beispiel am 1. Mai die Neugründung der Kommunistischen Partei Ägyptens gefeiert, die seit ihrer ersten Gründung vor 90 Jahren verboten war. Einige Meter entfernt rief ein Muslimbruder: »Gelobt sei Allah.« Ein Kommunist erwiderte spaßig: »Arbeiter dieser Welt, preist den Propheten!«
Die Angst vor dem Erstarken der Islamisten ist begründet, doch vom Iran auf Ägypten zu schließen ist ein Zeichen von Hilflosigkeit sowie mangelnder Kenntnis beider Staaten. Nicht jeder im Westen hält die Muslimbrüder freilich für ein Gespenst. Die USA haben eingesehen, dass an ihnen in Ägypten kein Weg vorbeiführt, sie sind offiziell mit den dortigen Islamisten in Gespräche eingetreten. Dass es früher auch zu Gesprächen zwischen beiden kam, ist kein Geheimnis mehr. Die Amerikaner wollen von den Muslimbrüdern vor allem die Zusicherung, dass Ägypten unter ihrer Herrschaft keinen Sonderweg im Nahostkonflikt geht. Die Brüder haben mehrfach bekräftigt, dass sie am Friedensvertrag mit Israel festhalten werden. Auch die Armee scheint sich nicht an der Perspektive zu stören, dass die Muslimbrüder eine zentrale Rolle in der Politik Ägyptens spielen. Sie können der Armee versichern, dass die Streitkräfte nicht nur mehr Autonomie und Einfluss gewinnen, sondern auch dass die alten Akten, die eine Verwicklung höherer Generäle in Geldwäsche oder Waffengeschäfte belegen, nun endgültig vernichtet werden.
Opportunisten wie sie sind, werden die Muslimbrüder dies tun und den Reformer spielen, zumindest so lange, bis sie eine starke Basis aufgebaut und neue Verbündete gefunden haben. Wie zum Beispiel Saudi-Arabien, das eine Zeitlang eine
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