Krieg oder Frieden / Die arabische Revolution und die Zukunft des Westens
in der arabischen Welt. Drei Monate nach Beginn der Revolution zeigte sich Saudi-Arabien bereit, Marokko und Jordanien in den Kooperationsrat der Golfstaaten zu integrieren. In Wirklichkeit ist es nur der Versuch, zwei weitere gefährdete Monarchien zu halten, um den Aufmarsch der Demokratie ein wenig zu bremsen.
Viele Beobachter glaubten lange, Saudi-Arabien sei wegen seines Reichtums und seiner besonderen Lage als Land der heiligen Städte Mekka und Medina immun gegen einen Volksaufstand. Doch die politische, soziale und demographische Situation im Land sei durchaus vergleichbar mit jenen arabischen Staaten, in denen die Revolte begann, schrieb Madawi al-Rasheed im »Foreign Policy Magazine« Ende Februar 2011. Das Land ist in der Tat wohlhabend, kann aber seiner jungen Bevölkerung nicht genügend Arbeitsplätze bieten. Von den vielen Investitionen im Land profitiert nur eine kleine Schicht, die jedoch nicht einheimische Saudis, sondern lieber billige Arbeitskräfte aus Asien beschäftigt. Und so sind 40 Prozent aller Saudis zwischen 20 und 24 arbeitslos. Viele junge Akademiker, die im In- und Ausland studiert haben, finden nach dem Studium keine Anstellung. Diese jungen Menschen hoffen nicht nur auf wirtschaftliche, sondern auch auf politische Erfüllung. Viele von ihnen schämen sich sogar dafür, im 21. Jahrhundert von so einem patriarchalischen Regime regiert zu werden.
Bislang wurden alle Aufrufe, Parteigründungen und Parlamentswahlen zuzulassen, zurückgewiesen. Stattdessen besetzt die königliche Familie die wichtigsten Ämter des Landes; ein Scheinparlament, das vom König eingesetzt wird, segnet die nötigen Entscheidungen ab. Die Jugend und die schiitische Minderheit, die am Persischen Golf dem Iran geographisch und ideologisch nahe ist, werden immer unzufriedener. Jede Form des Protests oder der politischen Betätigung wird brutal niedergeschlagen. Nach dem Erfolg der Revolution in Ägypten gründete eine Gruppe von Aktivisten in Saudi-Arabien die al-Umma-Partei und rief zur politischen Vielfalt im Land auf. Der Antrag wurde vom Regime abgelehnt, einige Gründungsmitglieder wurden verhaftet. Saudischen Aktivisten zufolge sitzen heute über 50 000 politische Gefangene in saudischen Gefängnissen.
Im Namen des Kampfes gegen den Terror und unter Berücksichtigung der Waffengeschäfte und der Erleichterungen, die westliche Investoren im Land haben, wird Saudi-Arabien von westlichen Regierungen nicht als Schurkenstaat, sondern eher als befreundetes Land angesehen. Einige kosmetische Reformen, die das Regime in den letzten Jahren initiierte, wurden von westlichen Politikern als große Schritte bezeichnet.
Der saudische König gründete bei einer Konferenz in Madrid 2008 die Initiative zum interreligiösen Dialog zwischen Muslimen, Christen und Juden weltweit. In seiner epochalen Rede 2009 in Kairo lobte Barak Obama diese Initiative als eine große Tat. Dass der gleiche König die eigene schiitische Minderheit unterdrückt und dass Christen, die als Gastarbeiter im Königreich leben, weder Gotteshäuser bauen noch eine Bibel bei sich haben dürfen, verschwieg der amerikanische Präsident. Sein Lob und sein Schweigen erklärten sich einige Monate später. Die USA hatten kurz vor dem Ausbruch der arabischen Revolution dem Regime in Saudi-Arabien Waffen im Wert von 60 Milliarden Dollar verkauft. Mitten im Getümmel der Aufstände verkauft sogar Deutschland, das sich vor Jahren verpflichtet hatte, keine Waffen in Krisenregionen zu liefern, 200 Kampfpanzer an das gleiche Regime.
Zwei Argumente werden immer zur Rechtfertigung dieses schizophrenen Verhaltens bemüht: Alle Geschäfte mit Saudi-Arabien sind Teil westlicher Wirtschaftsinteressen, und die Waffengeschäfte dienen dazu, den Nahen Osten zu stabilisieren. Gemeint ist natürlich: Eine Aufrüstung Saudi-Arabiens kann den Iran in Schach halten und Israels Existenz sichern.
Dieser Logik folgend, rüstete der Westen vor Jahrzehnten Saddam Hussein auf, um die radikalen Mullahs im Iran zu bekämpfen. Auch Saudi Arabien, das Angst vor dem wachsenden Einfluss des schiitischen Regimes in Teheran auf der arabischen Halbinsel hatte, unterstützte Saddam, als er ohne klaren Grund, aber mit Billigung und Unterstützung der Amerikaner dem Iran den Krieg erklärte. Was danach kam, wissen wir alle: Saddam konnte nach zehn Jahren Krieg den Iran nicht bezwingen, und das Regime in Teheran genoss mehr Sympathie auf der Halbinsel, vor allem unter den schiitischen
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