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Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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welcher anscheinend mit der Aufnahme und Bewirtung des Kaisers beschäftigt, in Wirklichkeit aber ein guter General war, nützlich im Rat und als stets bereiter Ersatzmann für Barclay. Der Großfürst war hier, weil es ihm so gefiel. Der frühere Minister Stein war da, weil er nützlich im Rat war und weil Kaiser Alexander seine Eigenschaften hochschätzte. Armfeldt war ein boshafter Neider Napoleons, besaß großes Selbstvertrauen und hatte immer Einfluß auf Alexander. Paulucci war da, weil er dreist und entschieden sprechen konnte, die Generale waren da, weil sie überall waren, wo der Kaiser war, und endlich, was das wichtigste war, Pfuel war da, weil er den Plan zum Krieg gegen Napoleon entworfen hatte und, nachdem er Alexander von der Zweckmäßigkeit dieses Plans überzeugt hatte, die ganze Kriegsführung leitete. Bei Pfuel war Wolzogen, der die Gedanken Pfuels in leichter, verständlicherer Form wiedergab als Pfuel selbst, der scharfe Kabinettstheoretiker, dessen Selbstvertrauen bis zur Verachtung aller übrigen ging. Außer den genannten russischen und ausländischen Persönlichkeiten befanden sich noch viele Leute zweiten Ranges bei der Armee, weil ihre Vorgesetzten dort waren. Während Fürst Andree ohne Kommando bei Drissa lebte, schrieb Schischkin, der kaiserliche Sekretär, einen Brief an den Kaiser, welchen Balaschew und Araktschejew unterschrieben. In dem Brief machte er Gebrauch von der kaiserlichen Erlaubnis, seine Meinung über den Verlauf der Dinge zu äußern und riet dem Kaiser ehrerbietig, das Heer zu verlassen unter dem Vorwand der Notwendigkeit, das Volk in der Residenz zum Krieg zu begeistern.
    Der Aufruf des Volkes zur Verteidigung des Vaterlandes, der die hauptsächlichste Grundlage des Sieges Rußlands war, wurde dem Kaiser als Vorwand, um die Armee zu verlassen, vorgestellt und von ihm angenommen.

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    Dieser Brief war dem Kaiser noch nicht übergeben worden, als Barclay bei Tisch Bolkonsky mitteilte, der Kaiser wünsche ihn zu sehen, um sich nach der Armee in der Türkei zu erkundigen, und er habe im Quartier Bennigsens um sechs Uhr abends zu erscheinen. An diesem selben Tag war die Nachricht von einer neuen Bewegung Napoleons eingelaufen, welche für die Armee gefährlich werden konnte, eine Nachricht, die sich aber schließlich als unrichtig erwies, und an demselben Morgen ritt Oberst Michaud mit dem Kaiser aus, um sämtliche Befestigungen von Drissa zu besichtigen und bewies ihm, daß dieses Lager, welches Pfuel befestigt hatte und welches als Gipfel der taktischen Vollkommenheit angesehen worden war, ein Unsinn und der Untergang für die russische Armee sei. Fürst Andree erschien im Quartier des Generals Bennigsen in einem kleinen Gutshof am Ufer des Flusses, fand aber weder Bennigsen noch den Kaiser dort. Aber Tschernischew, der Flügeladjutant des Kaisers, empfing Bolkonsky und sagte ihm, der Kaiser sei mit dem General Bennigsen und dem Marquis Paulucci heute schon zum zweitenmal ausgeritten, um die Befestigungen zu besichtigen, deren Wert man stark zu bezweifeln anfange.
    Tschernischew saß beim Fenster des ersten Zimmers mit einem französischen Roman. Früher war es wahrscheinlich der Salon gewesen. Ein altes Klavier, mit Teppichen bedeckt, stand an der Wand, und in der einen Ecke das Bett des Adjutanten Bennigsens. Dieser Adjutant war zugegen, er lag, wahrscheinlich infolge eines leichten Krankseins, auf dem Bett und schlummerte. Aus dem Saal führten zwei Türen hinaus, die eine in das frühere Speisezimmer, die andere nach rechts in das Kabinett. Aus der ersten Tür hörte man Stimmen, welche Deutsch und zuweilen Französisch sprachen. Dort, im früheren Speisezimmer, war auf Wunsch des Kaisers, wenn nicht ein Kriegsrat, so doch eine Anzahl Personen versammelt (der Kaiser liebte die Unbestimmtheit), deren Meinung über die bevorstehenden Schwierigkeiten er zu hören wünschte. Zu diesem halben Kriegsrat waren der schwedische General Armfeldt, der Generaladjutant Wolzogen, dann Wintzingerode, Michaud, Toll, der durchaus kein Krieger war, ferner Graf Stein und endlich Pfuel selbst eingeladen, welcher, wie Fürst Andree hörte, die »Grundlage« des Ganzen war. Fürst Andree hatte Gelegenheit, ihn genau zu betrachten. Auf den ersten Blick erschien dem Fürsten Andree der General Pfuel in seiner schlecht sitzenden russischen Generalsuniform bekannt, obgleich er ihn nie gesehen hatte. Pfuel war von kleinem Wuchs, sehr hager, aber von breitem, gesundem, kräftigem Bau. Sein

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