Krieg und Frieden
Gesicht war sehr faltig, mit tiefliegenden Augen. Die Haare waren bei den Schläfen augenscheinlich hastig mit der Bürste zurückgekämmt und standen hinten pinselartig in die Höhe. Er trat mit unruhigen, ärgerlichen Blicken ins Zimmer und wandte sich mit einer ungeschickten Bewegung an Tschernischew, den er auf deutsch fragte, wo der Kaiser sei. Als er hörte, der Kaiser besichtige die Befestigungen, lächelte er ironisch; in tiefem Baß und schroff, wie selbstgefällige Deutsche sprechen, murmelte er vor sich hin: »Unsinn! Zum Teufel die ganze Geschichte!« oder etwas der Art. Fürst Andree wollte durch das Zimmer gehen, aber Tschernischew stellte ihn Pfuel vor und bemerkte. Fürst Andree komme aus der Türkei, wo der Krieg so glücklich wie möglich beendigt worden sei.
»Das war wirklich ein regelmäßig-taktischer Krieg!« Und mit geringschätzigem Lachen ging er in das Zimmer, aus dem die Stimmen gehört wurden.
Pfuel war augenscheinlich gereizt dadurch, daß man es wagte, ohne ihn seine Befestigungen zu besichtigen. Bei dieser einzigen kurzen Begegnung mit Pfuel bildete sich Andree ein klares Bild dieses Mannes. Pfuel war einer jener Leute mit einem unerschütterlichen, fanatischen Selbstvertrauen, wie man sie nur unter den Deutschen findet, weil nur die Deutschen Selbstvertrauen haben auf Grund einer abstrakten Idee – der Wissenschaft, das heißt, der angeblichen Erkenntnis der vollkommenen Wahrheit. Der Franzose hat Selbstvertrauen, weil er sich persönlich als Geist und Körper für unwiderstehlich bezaubernd hält, sowohl für Männer als für Damen. Der Engländer hat Stolz und Selbstvertrauen darum, weil er ein Bürger des besteingerichteten Reichs der Welt ist und darum als Engländer immer weiß, was er zu tun hat und überzeugt ist, daß alles, was er als Engländer tut, unzweifelhaft gut sei. Der Italiener hat Selbstvertrauen, weil er von lebhaftem Temperament ist und leicht sich und andere vergißt. Der Russe hat Selbstvertrauen eben deshalb, weil er nichts weiß und nichts wissen will, weil er nicht glaubt, daß man irgend etwas sicher wissen könne. Der Deutsche besitzt ein stärkeres und widerlicheres Selbstvertrauen als alle anderen, weil er sich einbildet, er wisse die Wahrheit, die Wissenschaft, die er sich selbst erdacht hat, aber für absolute Wahrheit hält. – So war auch Pfuel. Er hatte eine Wissenschaft. Die Theorie der schiefen Bewegung, die er aus der Geschichte der Kriege Friedrichs des Großen abgeleitet hatte, und alles, was ihm in der neuesten Kriegsgeschichte vorkam, erschien ihm als Unsinn, Barbarei, als roher Zusammenstoß, in welchem von beiden Seiten nur Mißgriffe begangen werden. Er meinte, diese Kriege könnten nicht Kriege genannt werden, denn sie paßten nicht in seine Theorie und konnten daher nicht Gegenstand der Wissenschaft sein.
Im Jahre 1806 war Pfuel einer derjenigen, welche den Plan zu dem Kriege entworfen hatten, der mit Jena endigte, aber in dem unglücklichen Ausgang dieses Krieges sah er nicht den geringsten Beweis der Unrichtigkeit seiner Theorie. Er war einer jener Theoretiker, welche ihre Theorie so sehr lieben, daß sie das Ziel derselben darüber vergessen – ihre Anwendung auf die Praxis. Aus Liebe zur Theorie verabscheute er auch jede Praxis und wollte nichts davon wissen.
Er sprach einige Worte mit dem Fürsten Andree und Tschernischew und ging dann in das andere Zimmer, von wo sogleich seine Baßstimme vernehmbar wurde.
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Am andern Tag bei der Parade fragte der Kaiser Fürst Andree, wo er zu dienen wünsche, und Fürst Andree machte sich dadurch für immer unmöglich in der Hofwelt, daß er nicht darum bat, bei der Person des Kaisers bleiben zu dürfen, sondern bei der Armee zu dienen wünschte.
Vor dem Beginn des Feldzuges erhielt Rostow einen Brief von seinen Eltern mit einer kurzen Nachricht von Natalies Krankheit und von dem Bruch mit dem Fürsten Andree, der damit erklärt wurde, daß Natalie ihm einen Absagebrief geschrieben habe. Sie baten ihn, seinen Abschied zu nehmen und wieder nach Hause zu kommen. Nikolai machte keinen Versuch, einen Urlaub oder Abschied zu erhalten, und schrieb den Eltern, er bedauere sehr die Krankheit und den Bruch Natalies mit ihrem Bräutigam und er werde alles mögliche tun, um ihren Wunsch zu erfüllen. An Sonja schrieb er einen besonderen Brief.
»Verehrte Freundin meiner Seele!« schrieb er. »Nur die Ehre kann mich von der Rückkehr aufs Land abhalten, jetzt aber vor Eröffnung des Feldzuges
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