Krieg und Frieden
die junge Frau, umzurühren.
»Trinken Sie ohne Zucker?« fragte sie lachend, als ob alles, was sie sagte oder die anderen sagten, sehr lächerlich wäre und noch eine andere Bedeutung habe.
»Es liegt mir nichts am Zucker, ich möchte nur, daß Sie mit Ihrem Händchen umrühren.«
Sie suchte den Löffel, den aber schon ein anderer weggenommen hatte.
»Mit den Fingerchen, Maria Henrichowna«, sagte Rostow, »das wird noch schöner schmecken!«
»Es ist zu heiß«, sagte sie, vor Vergnügen errötend. – Als der Samowar ausgetrunken war, nahm Rostow die Karten und schlug vor, mit der jungen Frau das Königsspiel zu spielen. Wer König werde, solle das Recht haben, ihr Händchen zu küssen; und wer der Narr bleibe, solle einen neuen Samowar für den Doktor aufstellen.
»Nun, und wenn die Frau Doktorin König wird?« fragte Ilin.
»Sie ist ohnedies schon Königin, und ihr Befehl ist Gesetz.«
Kaum hatte das Spiel begonnen, als hinter der jungen Frau plötzlich der Kopf des Doktors erschien. Er war schon lange erwacht und hörte zu, fand aber nichts Heiteres in allem, was vorging. Ohne die Offiziere zu begrüßen, suchte er den Ausgang, den man ihm versperrte. Als er das Zimmer verlassen hatte, brachen alle Offiziere in ein lautes Gelächter aus, und Maria Henrichowna errötete tief und wurde dadurch in den Augen der Offiziere noch bezaubernder. Als der Doktor hereinkam, sagte er, der Regen sei vorüber und es sei Zeit, in der Kibitka schlafen zu gehen, sonst werde noch alles weggestohlen.
»Ich werde eine Wache aufstellen ... zwei«, sagte Rostow. »Seien Sie vernünftig, Doktor!«
»Ich werde selbst Wache stehen!« rief Ilin.
»Nein, meine Herren, Sie haben ausgeschlafen, aber ich habe zwei Nächte kein Auge geschlossen«, sagte der Doktor und setzte sich mürrisch neben seine Frau, um das Ende des Spieles abzuwarten. Die Offiziere fanden die finstere Miene des Doktors sehr belustigend, und einige konnten ihr Gelächter nicht zurückhalten, dem sie dann rasch einen anderen Vorwand zu geben suchten. Als der Doktor mit seiner Frau gegangen und in die Kibitka gestiegen war, legten sich die Offiziere in der Krugstube nieder und bedeckten sich mit ihren nassen Mänteln, aber das Gespräch und Gelächter verstummte noch lange nicht.
143
Um drei Uhr war noch niemand eingeschlafen, als der Wachtmeister erschien mit dem Befehl, nach dem Dörfchen Ostrowna vorzurücken. Alle Offiziere erhoben sich, wieder wurde der Samowar mit dem schmutzigen Wasser aufgestellt, aber Rostow wartete nicht den Tee ab und ging zu seiner Schwadron. Es dämmerte bereits und der Regen hatte aufgehört. Es war feucht und kalt, besonders in dem feuchten Mantel. Als Rostow und Ilin heraustraten, erblickten sie das im Regen glänzende Lederdach der Kibitka des Doktors. Unter der Decke sahen die Füße des Doktors hervor und in der Mitte erblickten sie auf einem Kissen das Häubchen der Doktorin, welche friedlich schnarchte.
»Sie ist wirklich sehr niedlich«, sagte Rostow.
»Eine entzückende Frau«, bestätigte Ilin mit seinem sechzehnjährigen Ernst.
Nach einer halben Stunde stand die Schwadron auf dem Wege. Auf das Kommando: »Aufsitzen!« bekreuzigten sich die Soldaten und stiegen zu Pferde. Rostow kommandierte: »Marsch!« und die Schwadron setzte sich in Bewegung. Unter dem Klatschen der Hufschläge auf dem aufgeweichten Wege, dem Klirren der Säbel und leisem Gespräch folgten sie auf der großen, mit Birken besetzten Landstraße der vorangegangenen Infanterie und der Batterie nach. Zerrissene dunkelrote Wolken wurden vom Winde rasch weitergetrieben. Es wurde heller und heller, immer deutlicher sah man die Gesichter der Soldaten.
Im Feldzuge erlaubte sich Rostow, nicht auf einem Regimentspferde, sondern einem Kosakenpferde zu reiten. Als Kenner und Liebhaber hatte er sich kürzlich ein feuriges Pferd vom Don verschafft, auf dem ihn niemand einholte. Für Rostow war es ein Entzücken, dieses Pferd zu reiten. Er dachte an sein Pferd, an den Morgen, an die Doktorin, aber nicht ein einziges Mal an die bevorstehende Gefahr.
Früher hatte sich Rostow gefürchtet, wenn es zum Gefecht ging, jetzt aber empfand er dieses Gefühl nicht mehr. Nicht deshalb, weil er sich an das Feuer gewöhnt hatte, denn an die Gefahr kann man sich nicht gewöhnen, sondern deshalb, weil er gelernt hatte, in der Gefahr die Herrschaft über sich selbst beizubehalten. Er gewöhnte sich, wenn es ins Gefecht ging, an alles zu denken, nur nicht an das, was das
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