Krieg und Frieden
alle Mienen tiefes Gefühl. Endlich näherte sich eine wichtige Persönlichkeit dem Bilde, für welche er sogleich eine Gasse öffnete. Es war Kutusow, der nach Tatarinowo zurückkehrte, nachdem er die Gegend betrachtet hatte. Peter erkannte ihn sofort. Er trug einen langen Mantel auf dem gewölbten Rücken. Er trat etwas schwankend ein, blieb hinter dem Priester stehen und machte mechanisch das Zeichen des Kreuzes. Dann neigte er tief seinen grauen Kopf. Er war begleitet von Bennigsen und seinem Generalstab. Ungeachtet der Anwesenheit des Oberkommandierenden, welche die Aufmerksamkeit der Generale abgelenkt hatte, beteten die Soldaten weiter, ohne sich stören zu lassen. Als die Gebete beendigt waren, trat Kutusow vor, kniete schwerfällig nieder und berührte die Erde mit seiner Stirn. Nach längeren, vergeblichen Anstrengungen, sich wieder zu erheben, gelang es ihm endlich, er spitzte die Lippen, wie die Kinder tun, und küßte das Bild. Die Generale folgten seinem Beispiel, dann die Offiziere und nach ihnen auch die Soldaten, welche einander drängten und stießen.
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»Peter Kirilowitsch, wie kommen Sie hierher?« rief eine Stimme.
Peter wandte sich um und erblickte Boris Drubezkoi, welcher seine Knie nach den Kniebeugungen abstäubte und sich ihm lachend näherte. Sein Äußeres war elegant. Er trug wie Kutusow einen langen Mantel. Während dieser Zeit hatte Kutusow das Dorf erreicht und sich vor einer Hütte auf einer Bank niedergelassen, welche ein Kosak in aller Eile herbeigebracht hatte. Ein glänzendes Gefolge umgab ihn. Die Prozession zog weiter, während Peter im Gespräch mit Boris etwa dreißig Schritt von Kutusow stand. Peter sprach seinen Wunsch aus, an der Schlacht teilzunehmen. »Das beste wäre, beim General Bennigsen zu bleiben«, sagte Boris, »bei dem ich Ordonnanzoffizier bin. Ich werde von Ihnen mit ihm sprechen. Wollen Sie eine Idee von unserer Stellung haben, so kommen Sie mit uns, wir gehen nach dem linken Flügel, und wenn wir zurückkommen, müssen Sie mir das Vergnügen machen, mein Gast für die Nacht zu sein. Wir können sogar eine kleine Partie organisieren. Sie kennen ohne Zweifel Dmitri Sergejewitsch? Er liegt dort drüben in Gorky in Quartier.«
»Aber ich hätte gern den rechten Flügel gesehen, man sagt, er sei so stark.«
»Das können Sie wohl, aber der linke Flügel ist der wichtigste.«
»Vielleicht können Sie mir sagen, wo sich das Regiment des Fürsten Bolkonsky befindet?«
»Wir kommen dort vorüber, und ich werde Sie zum Fürsten führen.«
»Was wollten Sie vom linken Flügel sagen?« fragte Peter.
»Unter uns gesagt, der linke Flügel befindet sich in einer abscheulichen Stellung. Graf Bennigsen hatte einen ganz anderen Plan und wollte auch jenen Hügel dort unten befestigen, aber seine Hoheit hat es nicht erlaubt, denn ...«
Boris sprach nicht weiter, weil er den Adjutanten Kutusows, Kaissarow, auf sich zukommen sah.
»Kaissarow!« rief Boris lebhaft, »ich erkläre dem Grafen unsere Stellung. Er bewundert seine Durchlaucht, welcher die Absicht des Feindes so gut durchschaut hat.«
»Sie sprachen vom linken Flügel?« fragte Kaissarow.
»Ja, gerade der linke Flügel ist jetzt furchtbar.«
Obgleich Kutusow aus seinem Hauptquartier alle unnützen Leute fortgeschickt hatte, hatte Boris doch verstanden, seine Stellung zu behaupten, indem er sich dem Grafen Bennigsen attachieren ließ, der große Stücke auf ihn hielt.
Die Armee war in zwei Lager geteilt, das von Kutusow und das von Bennigsen, dem Chef des Generalstabs, und Boris verstand es sehr geschickt, während er für Kutusow eine tiefe Achtung an den Tag legte, zu verstehen zu geben, daß dieser Greis unfähig sei, die Kriegsführung zu leiten, und daß in der Tat Bennigsen der wirkliche Leiter sei. Man stand jetzt vor dem entscheidenden Augenblick, welcher Kutusow vernichten und die Gewalt Bennigsen überliefern sollte, oder aber, wenn Kutusow die Schlacht gewann, so hätte man nicht verfehlt, verständlich zu machen, daß alle Ehre dafür Bennigsen gebühre. In jedem Falle wären zahlreiche Belohnungen zur Verteilung gekommen. Diese Aussicht versetzte Boris in fieberhafte Aufregung.
Peter war bald von mehreren Offizieren, die er kannte, umgeben, welche nach Kaissarow gekommen waren, und hatte Mühe, alle Fragen zu beantworten. Kutusow bemerkte Peter in der Gruppe und ließ ihn durch seinen Adjutanten rufen. Peter begab sich gleich zu ihm, aber in demselben Augenblick näherte sich auch ein Mann
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