Krieg und Frieden
verstanden habe, aber doch die allgemeine Stellung.«
»Nun, dann weißt du mehr als irgend jemand«, sagte Fürst Andree.
»Wie?« fragte Peter erstaunt. »Und was sagen Sie über die Ernennung Kutusows?«
»Ich war sehr erfreut darüber!«
»Aber was ist Ihre Meinung von Barclay de Tolly? In Moskau spricht man viel von ihm.«
»Frage diese Herren!« erwiderte Fürst Andree.
»Es ist hell geworden, Erlaucht, als der Alte kam!« sagte Timochin mit schüchternem Blick nach seinem Vorgesetzten.
»Warum das?« fragte Peter.
»Nun, sehen Sie, zum Beispiel Holz oder Furage! Wir marschierten von Swenzjany ab und durften nichts anrühren, alles mußten wir ›ihm‹ überlassen! Nicht wahr, Erlaucht, in unserem Regiment wurden zwei Offiziere dafür vor Gericht gestellt, aber als der Durchlauchtigste kam, wurde alles anders, alles hell!«
»Warum hatte Barclay de Tolly das verboten?«
Timochin wußte nicht, wie er darauf antworten sollte.
»Das Land sollte nicht verheert werden, das wir dem Feinde überlassen!« sagte Fürst Andree mit boshaftem Spott. »Nun, und bei Smolensk hat er auch ganz richtig überlegt, daß die Franzosen uns umgehen können, weil sie die Übermacht hatten. Aber er konnte nicht begreifen«, rief Fürst Andree plötzlich mit grollender Stimme, »daß wir uns damals zum erstenmal um russisches Land schlugen, und daß der Geist der Truppen so vortrefflich war, wie ich ihn nie gesehen hatte. Aber er befahl den Rückzug, und alle Anstrengungen und Verluste waren verloren. Er ist jetzt nicht am Platz, weil er alles gründlich und genau überlegt, wie ein echter Deutscher. Und in eurem Klub ist euch eingefallen, er sei ein Verräter? Dadurch wird er später nur wieder zum Helden oder Genie gemacht, was noch weniger richtig ist. Er ist ein ehrlicher, sehr pünktlicher Deutscher, der aber den russischen Geist nicht versteht.«
»Aber er ist ein geschickter Heerführer!« sagte Peter.
»Was bedeutet das?« sagte Fürst Andree spöttisch.
»Nun, einen Führer, der alle Zufälle voraussieht und die Absichten des Gegners errät!«
»Das ist unmöglich«, sagte Fürst Andree.
»Aber man sagt doch«, erwiderte Peter, »der Krieg sei ein Schachspiel?«
»Ja, nur mit dem kleinen Unterschied, daß man beim Schachspiel jeden Zug überlegen kann, solange man will, und daß ein Pferd immer stärker ist als ein Bauer, und zwei Bauern immer stärker sind als einer. Im Kriege aber ist ein Bataillon zuweilen stärker als eine Division, zuweilen schwächer als eine Kompanie. Glaube mir, wenn etwas von den Anordnungen des Generalstabs abhängen würde, so wäre ich dort geblieben und würde auch anordnen. Statt dessen habe ich die Ehre, mit diesen Herren beim Regiment zu dienen, und ich glaube, daß der morgige Tag von uns und nicht vom Generalstab abhängen wird. Der Erfolg hängt niemals ab vom Terrain, der Bewaffnung, noch von der Zahl und am allerwenigsten von der Stellung.«
»Wovon denn?«
»Von jenem Gefühl, das in mir und in jedem Soldaten ist.«
Timochin blickte erschreckt seinen Vorgesetzten an, welcher jetzt, im Gegensatz zu seiner früheren Schweigsamkeit, ungewöhnlich erregt war.
»Die Schlacht gewinnt der, der fest entschlossen ist, sie zu gewinnen. Du sagst, unsere Stellung, besonders der linke Flügel, sei schwach, aber das ist alles Unsinn! Was steht uns morgen bevor? Hundert Millionen Zufälligkeiten, welche zum Sieg oder zur Niederlage führen, aber alles, was jetzt geschieht, ist nur Zeitvertreib. Die Wahrheit ist, daß diejenigen, mit denen du längs der Stellung hingeritten bist, nicht nur zum Verlauf der Schlacht nichts beitragen, sondern ihn noch stören! Sie sind nur mit ihren eigenen, kleinlichen Interessen beschäftigt.«
»In einem solchen Augenblick?« fragte Peter vorwurfsvoll.
»Gewiß, sie denken nur daran, ein Kreuz oder Ordensband zu erhalten! Ich sehe die Sache anders an. Hunderttausend Russen und hunderttausend Franzosen sind zusammengekommen, um sich zu schlagen, und wer sich wütender schlägt und weniger schont, der wird Sieger! Aber ich sage dir, was auch dort geschehen mag, und welche Konfusion dort oben herrschen mag, wir gewinnen morgen die Schlacht.«
»Das ist die Wahrheit, Erlaucht«, bemerkte Timochin. »Glauben Sie mir, die Soldaten in meinem Bataillon tranken keinen Schnaps, ›es ist jetzt nicht Zeit dazu‹, sagten sie.«
Alle schwiegen.
Als die Offiziere gegangen waren, wollte Peter das Gespräch fortsetzen und sagte: »Sie glauben also, daß die
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