Krieg und Frieden
Schlacht zu begreifen.
Von der Verschanzung ritten sie noch weiter nach links in einen niedrigen Birkenwald. Vor ihnen sprang ein Hase auf, erschreckt durch die Hufschläge, und verschwand in dem Gebüsch. Nach einem Weg von etwa zwei Kilometer durch den Wald kamen sie auf freies Feld hinaus, auf welchem die Truppen des Armeekorps von Tutschkow standen, welche den linken Flügel verteidigen sollten. Hier auf dem äußersten linken Flügel sprach Bennigsen viel und lebhaft und traf, wie es Peter schien, wichtige Anordnungen. Vor der Stellung der Truppen Tutschkows befand sich eine Anhöhe, welche nicht von Truppen besetzt war. Bennigsen tadelte laut diesen Fehler, und einige Generale stimmten ihm bei, worauf Bennigsen befahl, auf seine Verantwortung die Truppen vorzuschieben. Sogar Peter wunderte sich darüber, wie es möglich war, einen so groben Fehler zu begehen. Er wußte nicht, daß diese Truppen nicht zur Verteidigung der Stellung bestimmt waren, wie Bennigsen glaubte, sondern verdeckt in einem Hinterhalt aufgestellt waren, um den vorrückenden Feind plötzlich zu überfallen. Bennigsen wußte das nicht und schob die Truppen weiter vor, ohne dem Oberkommandierenden davon Mitteilung zu machen.
167
An diesem hellen Augustabend des 25. lag Fürst Andree in einer zerfallenen Scheune des Dorfes Knjaskowo, wo sein Regiment stand. Durch die Löcher in den Wänden blickte er auf das Feld hinaus, auf welchem die Lagerfeuer der Soldaten rauchten. Drückend und unnütz erschien ihm sein Leben, und er befand sich jetzt wieder, wie vor sieben Jahren am Vorabend der Schlacht bei Austerlitz, in einer erregten und gereizten Stimmung. Er hatte die Befehle zur Schlacht erhalten und ausgegeben und hatte jetzt nichts weiter zu tun. Er wußte, daß die bevorstehende Schlacht die schrecklichste von allen denen sein mußte, an denen er teilgenommen. Der Gedanke an die Möglichkeit des Todes erwachte jetzt lebhaft in seiner Seele mit drohender Klarheit und Schärfe, und alles was ihn früher in Anspruch genommen und gequält hatte, erschien ihm jetzt im kalten, bleichen, schattenlosen Licht. Er sah sein ganzes Leben wie in einer Zauberlaterne. »Ja, das sind sie, diese Gestalten in groben Umrissen, welche mir einst schön und geheimnisvoll erschienen waren. Das allgemeine Wohl, die Liebe zum Weibe, zum Vaterland – wie groß erschienen mir einst alle diese Bilder! Mit welchem tiefen Sinn schienen sie mir erfüllt zu sein! Und das alles erscheint mir jetzt so einfach und leer!« Er blickte auf die Birken hinaus, deren gelbgrüne Blätter in der Sonne erglänzten, und dachte an das Leben auf Erden, wenn er nicht mehr sein werde. Ein Frost lief über seinen Rücken. Rasch stand er auf, verließ die Scheune und ging umher.
»Wer ist da?« rief Andree, als er Stimmen vernahm.
Der rotnasige Kapitän Timochin, der frühere Vorgesetzte Dolochows, welcher jetzt wegen Mangel an Offizieren ein Bataillon befehligte, näherte sich schüchtern der Scheune, begleitet von einem Adjutanten und dem Zahlmeister des Regiments. Fürst Andree hörte die Meldung der Offiziere an, erteilte noch einige Befehle und wollte sie entlassen, als er hinter der Scheune eine bekannte Stimme vernahm. Fürst Andree erblickte Peter, der auf ihn zukam. Der Anblick von Leuten seiner Welt, besonders Peters, der ihn an die schwere Zeit erinnerte, die er in Moskau verlebt hatte, war ihm peinlich.
»Ach, sieh da!« sagte er. »Wie unerwartet!« Seine Miene war mürrisch, fast feindselig. Peter bemerkte dies sogleich, seine gehobene Stimmung schwand.
»Ich kam ... wissen Sie ... es interessiert mich ...« sagte Peter. »Ich wollte die Schlacht sehen.«
»Ja, ja, aber was sagen deine Brüder, die Freimaurer, vom Krieg?« fragte Andree spöttisch. »Was macht Moskau? Was machen die Meinigen? Sind sie endlich in Moskau angekommen?« fragte er ernst.
»Ja, sie sind angekommen, Julie Drubezkoi hat es mir gesagt. Ich wollte sie besuchen, traf sie aber nicht an. Sie sind auf das Gut bei Moskau gezogen.«
168
Die Offiziere wollten gehen, aber Fürst Andree, welcher nicht mit seinem Freund allein bleiben wollte, lud sie zum Tee ein. Die Offiziere blickten die dicke, mächtige Gestalt Peters erstaunt an und hörten auf seine Nachrichten aus Moskau und auf seine Bemerkungen über die Stellung unserer Truppen, die er gesehen hatte.
»Du hast also die ganze Stellung begriffen?« unterbrach ihn Fürst Andree.
»Nun, ich bin kein Krieger und kann nicht sagen, daß ich alles
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