Krieg und Frieden
bleiben?«
»Ja«, sagte Denissow nachdenklich. »Du kannst bis morgen bleiben.«
»Ach, bitte ... kann ich bei Ihnen bleiben?« rief Petja.
»Hat dir denn der General befohlen, sogleich zurückzukehren?« fragte Denissow.
Petja errötete. »Er hat nichts darüber gesagt, ich denke, ich kann bleiben?« sagte er fragend.
»Nun gut«, erwiderte Denissow. Darauf wandte er sich zu seinen Untergebenen und befahl, eine Abteilung solle sich zu dem als Rastplatz bestimmten Ort im Wald begeben, und der Offizier auf dem Kirgisenpferd, der sein Adjutant war, solle Dolochow aufsuchen und fragen, ob er morgen kommen werde. Denissow selbst aber mit dem Esaul und Petja wollten auf die Waldlichtung reiten, die sich gegen Schamschewo hinzog, um von dort die Stellung der Franzosen zu beobachten, auf welche der Überfall morgen gerichtet werden mußte.
Denissow, Petja und der Esaul, begleitet von einigen Kosaken und dem Husaren, welcher den Gefangenen auf seinem Pferde hatte, ritten nach links durch eine Schlucht zum Waldsaum.
233
Der Regen hörte auf, nur einzelne Wassertropfen fielen noch von den Zweigen der Bäume. Denissow, der Esaul und Petja ritten schweigend dem Bauern nach, der leicht und geräuschlos über den weichen Rasen schritt und sie zum Waldsaum führte. Als sie an den Bergabhang kamen, blieb der Bauer stehen und näherte sich der rötlichen Wand der Bäume. Bei einer großen Eiche hielt er an und winkte geheimnisvoll mit dem Arm. Denissow und Petja ritten zu ihm hinüber. Von dem Standpunkte des Bauern aus konnte man die Franzosen sehen. Gleich hinter dem Walde zog sich ein Getreidefeld hinab, rechts, jenseits einer steilen Schlucht, lag ein kleines Dörfchen mit einem halbverfallenen Herrenhause. In jenem Dörfchen und Herrenhaus, im Garten, beim Teich und auf dem ganzen Weg von der Brücke bis zum Dörfchen sah man in einer Entfernung von kaum vierhundert Meter durch den wogenden Nebel Menschenmassen; man hörte deutlich ihre Rufe in fremden Sprachen.
»Bringt den Gefangenen hierher!« sagte Denissow, ohne die Augen von den Franzosen abzuwenden.
Der Kosak stieg vom Pferde, nahm den Knaben herunter und ging mit ihm zu Denissow. Der Knabe steckte seine erstarrten Hände in die Taschen und sah Denissow furchtsam an, und ungeachtet seiner Bereitwilligkeit, alles zu sagen, was er wußte, waren seine Worte doch so verwirrt, daß Denissow sich unmutig abwandte.
Petja blickte gespannt bald nach dem Knaben, bald nach den Franzosen, um nicht irgend etwas Wichtiges zu versäumen.
»Ob Dolochow kommt oder nicht, wir müssen angreifen, nicht wahr?« sagte Denissow mit glänzenden Augen.
»Der Ort ist günstig«, bemerkte der Esaul.
»Die Infanterie senden wir in die Niederung am Sumpf«, fuhr Denissow fort, »sie soll sich in den Garten schleichen! Sie reiten mit den Kosaken von dorther, vom Wald hinter dem Dörfchen, und ich von hier aus mit den Husaren, und nach einem Schuß ...«
»Durch die Schlucht geht es nicht, der Grund wird sumpfig sein«, sagte der Esaul, »man muß einen weiteren Bogen nach links hin machen.«
Während sie halblaut sich besprachen, krachte in der Schlucht vom Teiche her ein Schuß, dann ein zweiter, eine Rauchwolke erhob sich, und man hörte hundertstimmiges Rufen der Franzosen am Abhänge. Denissow und der Esaul zogen sich zurück, sie waren so nahe, daß sie glaubten, die Schüsse hätten ihnen gegolten. Aber das war ein Irrtum, unten, längs des Sumpfes, lief ein Mensch, auf welchen die Franzosen schossen.
»Ach, das ist ja unser Tichon«, sagte der Esaul.
»Solch ein Strolch«, rief Denissow.
Der Mensch, den sie Tichon nannten, lief nach dem Fluß, stürzte sich hinein und verschwand auf einen Augenblick. Dann kroch er auf allen vieren, schwarz vom Wasser, heraus und lief weiter. Die Franzosen, die ihn verfolgten, blieben stehen.
»Gut gemacht«, sagte der Esaul.
»Wer ist das?« fragte Petja.
»Das ist unser Späher, den wir aussandten, einen Gefangenen zu holen.«
Tichon war einer der nützlichsten Leute der Abteilung. Er war ein Bauer aus Pokrowskoje. Als Denissow am Anfang seiner Streifzüge nach Pokrowskoje kam und wie immer den Dorfältesten fragte, was er von den Franzosen wisse, erwiderte dieser wie gewöhnlich ausweichend, er wisse nichts und habe nichts gesehen. Aber als Denissow ihm erklärte, er verfolge die Franzosen, und dann danach fragte, ob die Franzosen umherstreiften, sagte der Dorfälteste, »Mirodeure« seien dagewesen, aber bei ihnen im Dorf habe sich
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