Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
erreicht, wurden sechs Kosaken zurückgelassen, die sogleich die Meldung machen sollten, sobald sich neue französische Kolonnen zeigten. Vorn aber, vor Schamschewo, sollte Dolochow ebenso auf dem Wege folgen, um zu ermitteln, in welcher Entfernung andere französische Truppen seien. Man schätzte die Mannschaft bei dem Transport auf fünfzehnhundert Mann, Denissow hatte zweihundert und Dolochow etwa ebensoviel. Aber die Übermacht konnte Denissow nicht abhalten. Er mußte nur noch wissen, was das für Truppen waren, und zu diesem Zweck mußte Denissow einen der Feinde gefangennehmen. Der Angriff auf die Fuhre am Morgen war so heftig erfolgt, daß die sie begleitenden Franzosen alle getötet, und nur ein kleiner Knabe, ein Trommler, lebendig gefangen wurde, der nichts Zuverlässiges über die Truppen bei dem Transport aussagen konnte. Einen nochmaligen Angriff hielt Denissow für gefährlich, um nicht die ganze Kolonne wachsam zu machen, und deshalb sandte er nach Schamschewo einen Bauern, Tichon, voraus, um, wenn möglich, wenigstens einen der französischen Quartiermacher, die dort gewesen waren, zu fangen.

232
    Es war eine warme Regennacht. Denissow bückte wie sein Pferd den Kopf herab wegen des Regens und blickte aufmerksam nach vorwärts. Sein hageres, bärtiges Gesicht hatte einen zornigen Ausdruck. Neben ihm ritt ein Esaul, ein Kosakenhauptmann, auf einem wohlgenährten Pferd.
    Der Esaul Lowaisky war ein langer, blondlockiger Mann, dünn wie ein Brett, mit kleinen, hellen Äuglein und selbstzufriedener Miene. Etwas vor ihnen ging ein durchnäßter Bauer, ein Wegzeiger, im grauen Kaftan mit weißer Mütze. Etwas hinter ihnen ritt ein junger Offizier in einem blauen französischen Mantel auf einem hagern Kirgisenpferd mit mächtigem Schweif und dichter Mähne, und neben diesem ritt ein Husar, der hinter sich einen Knaben in zerrissener französischer Uniform und blauer Mütze hatte. Der Knabe hielt sich mit roten Händen am Husaren fest. Das war der gefangene französische Trommelschläger. Hinter ihnen ritten Husaren zu dreien oder vieren auf einem engen Waldwege, dann Kosaken, zum Teil in Filzmänteln, zum Teil in französischen Mänteln. Die Kleider, die Sättel, die Zügel, alles war feucht wie die Erde und die herabgefallenen Blätter, mit denen der Weg bestreut war. Denissow war schlechter Laune, sowohl wegen des Regens als wegen des Hungers, denn seit dem frühen Morgen hatte niemand gegessen, besonders aber deshalb, weil von Dolochow bisher keine Nachricht gekommen war.
    Als sie auf eine Waldlichtung kamen, von welcher man weit nach rechts sehen konnte, hielt Denissow an.
    »Dort kommt etwas!« sagte er.
    Der Esaul blickte nach der angegebenen Richtung.
    »Dort reiten zwei – ein Offizier und ein Kosak.«
    Bald verschwanden die Reiter und nach einigen Augenblicken zeigten sie sich wieder. Der Offizier ritt voraus in einem müden Galopp, mit ganz durchnäßten, bis unter die Knie aufgeschlagenen Beinkleidern. Hinter ihm trabte ein Kosak aufrecht in den Steigbügeln. Der Offizier, ein sehr junger Mensch mit breitem, rotem Gesicht und recht vergnügten Äuglein, ritt auf Denissow zu und übergab ihm einen durchnäßten Brief.
    »Vom General«, sagte er. »Entschuldigen Sie, daß er nicht ganz trocken ist.«
    Denissow nahm den Brief mit finsterer Miene und erbrach ihn.
    »Alle sagten, es sei gefährlich, gefährlich!« sagte der Offizier zum Esaul, während Denissow den Brief las, »aber wir haben jeder zwei Pistolen. Was ist das?« fragte er, als er den kleinen Franzosen erblickte, »ein Gefangener? Sie waren schon im Gefecht? Kann ich mit ihm reden?«
    »Rostow! Petja!« rief Denissow. »Warum hast du nicht gleich gesagt, daß du's bist?«
    Der junge Offizier war Petja Rostow.
    »Nun, es freut mich, dich zu sehen! – Michail«, wandte Denissow sich an den Esaul, »das ist hier ein Schreiben von dem General!« Er teilte ihm den Inhalt des Schreibens mit, welches das wiederholte Verlangen von einem General enthielt, sich mit seinem Streifkorps zu vereinigen. »Wenn wir den Transport morgen nicht wegnehmen, so wird er uns vor der Nase weggeschnappt«, schloß er.
    Während Denissow mit dem Esaul sprach, hatte Petja, verdutzt von dem kalten Ton Denissows, seine Beinkleider herabgeschlagen, weil er diese für die Ursache des kühlen Empfangs hielt.
    »Haben Sie einen Befehl zu geben, Euer Hochwohlgeboren?« fragte er Denissow mit der Hand am Schirm, »oder soll ich bei Euer Hochwohlgeboren

Weitere Kostenlose Bücher