Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krieg und Frieden

Krieg und Frieden

Titel: Krieg und Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
unsinnige, krampfhafte Umherwerfen des französischen Heeres während der ersten elf Tage nach seinem Abmarsch von Moskau, wodurch möglich wurde, an was damals Kutusow noch nicht zu denken wagte: die vollständige Vernichtung der Franzosen. Alle Nachrichten ließen darauf schließen, daß die französische Armee erschüttert war und sich zur Flucht wende, aber das waren nur Vermutungen, und Kutusow wußte aus sechzigjähriger Erfahrung, welches Gewicht man Gerüchten beilegen darf. Er wußte, wie geneigt die Menschen sind, wenn sie etwas wünschen, alle Nachrichten so zu gruppieren, daß sie das Gewünschte bestätigen. In diese Gedanken war er in der Nacht des 11. Oktober versunken, als er im Nebenzimmer Geräusch hörte.
    »Wer ist da? Was gibt es Neues?«
    Während ein Diener eine Kerze anzündete, traten die Generale Toll und Konownizin mit Bolchowitinow ein. Toll berichtete den Inhalt der überbrachten Nachricht und war erstaunt über den Ausdruck kalter Strenge auf Kutusows Gesicht.
    »Sprich! Sprich, Freundchen!« sagte er zu Bolchowitinow. »Komm näher! Was hast du mir für Nachrichten gebracht? Was? Napoleon ist aus Moskau abmarschiert? Ist's wirklich so? Wie?«
    Bolchowitinow meldete von Anfang an genau, was ihm aufgetragen war. »Sprich schneller, schneller!« unterbrach ihn Kutusow.
    Als Bolchowitinow zu Ende war, wollte Toll sprechen, aber Kutusow unterbrach ihn. Er wollte etwas sagen, plötzlich aber verzog sich sein Gesicht, er winkte Toll mit der Hand zu, wandte sich um und zog sich in eine Ecke der Hütte zurück.
    »Herr, mein Schöpfer, du hast unser Gebet erhört«, sagte er mit zitternder Stimme und gefalteten Händen. »Rußland ist gerettet! Ich danke dir, Herr!« Darauf brach er in Tränen aus.

231
    Der sogenannte Partisanenkrieg begann schon mit dem Einmarsch des Feindes in Moskau. Schon ehe derselbe offiziell von unserer Regierung anerkannt wurde, waren schon Tausende von Feinden, Nachzüglern und Marodeuren durch Kosaken und Bauern vernichtet worden. Am 24. August wurde das erste Streifkorps unter Dawidow errichtet, und je weiter der Feldzug sich ausdehnte, um so mehr vergrößerte sich die Zahl dieser Streifkorps. Ihre Zahl betrug schon Hunderte, als die Franzosen nach Smolensk zu flohen. Einige derselben hatten ein militärisches Ansehen mit Infanterie, Artillerie, Stäben und so weiter, andere bestanden nur aus Kosaken, und dann gab es noch kleinere zu Fuß und zu Pferde, welche nur aus Bauern bestanden, unter dem Befehl eines unbekannten Gutsbesitzers oder Kirchensängers, die einige hundert Gefangene im Monat machten. Ende Oktober stand der Kleinkrieg in voller Blüte. Die erste Periode, wo sie sich selbst wunderten über ihre Kühnheit und beständig fürchteten, von den Franzosen gefangen zu werden, war schon vorüber. Jetzt hielten kleinere Partisangruppen, welche schon lange angefangen hatten und die Franzosen näher kannten, vieles für möglich, was vorsichtigere Anführer mit militärischen Abteilungen nicht wagten, ja, sie hielten schon alles für möglich.
    Am 22. Oktober befand sich Denissow mit seinem Streifkorps in heftiger Erregung. Seit dem Morgen waren sie unterwegs und den ganzen Tag folgten sie durch die Wälder längs der großen Straße einem großen, französischen Transport von Kavalleriematerialien und russischen Gefangenen, welcher sich von den übrigen Truppen abgesondert hatte und unter starker Bedeckung, wie die Kundschafter berichteten, sich gegen Smolensk bewegte. Von diesem Transport wußten nicht nur Denissow und Dolochow, der auch ein kleines Streifkorps befehligte und in der Nähe von Denissow sich bewegte, sondern auch die Anführer kleinerer militärischer Abteilungen, und Denissow beschloß daher, diesen zuvorzukommen und mit Dolochow den Transport anzugreifen. Dieser marschierte am 22. Oktober vom Dorfe Mikulino nach dem Dorfe Schamschewo. Zur Linken vom Wege von Mikulino nach Schamschewo erstreckten sich große Wälder, welche sich zuweilen dem Wege näherten oder von ihm entfernten. Am Morgen nahmen die Kosaken zwei Fuhren weg, die im Schlamm auf dem Wege steckengeblieben waren und Kavalleriesättel enthielten, und führten sie in den Wald. Bis zum Abend folgte das Streifkorps, ohne anzugreifen, den Franzosen. Denissow wollte sie nicht aufschrecken, sondern ruhig bis Schamschewo gelangen lassen, dann aber mit Dolochow vereinigt, gegen Morgen von zwei Seiten her den Feind überfallen. Hinten, zwei Werst von Mikulino, dort wo der Wald die Straße

Weitere Kostenlose Bücher