Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
Vom Netzwerk:
dabei waren, dann legten sie einen so gewaltigen Zorn an den Tag, wie ihn bezahlte Söldner nie aufbringen würden. Der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg hatte nur relativ wenige Massaker außerhalb der Schlachten in North und South Carolina gesehen, die Kämpfe der Französischen Revolution aber fanden in einem Rausch der Selbstgerechtigkeit statt, der sich besonders gegen die Feinde im Inneren richtete. »Wir bringen Feuer und Tod«, schrieb ein französischer Offizier 1794 an seine Schwester. »Ein Freiwilliger tötete drei Frauen mit eigener Hand. Es ist grauenvoll, aber die Sicherheit der Republik gebietet es.« 57
    In diesem Jahr tötete die französische Revolutionsarmee eine viertel Million Landsleute (die als Konterrevolutionäre galten). Da sie Gewehre und Guillotinen zu langsam fanden, gingen sie dazu über, Zivilisten zu fesseln und in Flüsse zu werfen. »Was ist die Loire doch für ein revolutionärer Strom geworden!«, scherzte der Kommandeur, bevor er offenbar ernsthaft hinzufügte: »Es geschieht aus einem Prinzip der Menschlichkeit, dass ich das Land der Freiheit von diesen Ungeheuern säubere.« 58
    Gegen die ausgebildeten Truppen ihrer preußischen, österreichischen und russischen Gegner aber hatten es die französischen Revolutionäre dagegen schwer, ebenso wie die amerikanischen Revolutionäre sich gegen die britischen und hessischen Söldner schwergetan hatten. Die französische Volksarmee war riesig, undiszipliniert und weitgehend schlecht geführt, da die meisten ihrer reaktionären Offiziere enthauptet oder ins Exil gejagt worden waren. Nur ihre hervorragende Artillerie, die sich einen Stamm bürgerlicher, vorrevolutionärer Offiziere erhalten hatte, bewahrte sie vor einer Katastrophe. 1796 schließlich hatte einer dieser Offiziere – ein streitlustiger Korse namens Napoleon Bonaparte – einen Weg gefunden, eine Volksarmee in eine kriegsentscheidende Waffe zu verwandeln.
    »Keine Manöver mehr, keine Kriegskunst mehr, sondern Feuer, Stahl und Vaterlandsliebe!«, hatten die Revolutionäre verkündet, aber Napoleons Genialität beruhte darauf, diese Parolen praktisch umzusetzen. 59 Napoleons Männer gaben die schwerfälligen Versorgungstrains auf, die Berufsarmeen verlangsamten, und versorgten sich in der Umgebung, indem sie kauften oder stahlen, was sie brauchten. Seit dem 17. Jahrhundert hatte das niemand mehr versucht, weil die Truppen zu groß geworden waren, um sich von den Bauernhöfen entlang der Marschroute zu ernähren. Aber Napoleon teilte seine Armee in einzelne Heeresabteilungen und kleinere Divisionen auf, die jeweils auf unterschiedlichen Routen vorrückten. Jede konnte selbständig eine Schlacht schlagen, wenn es sein musste, aber entscheidend für den Sieg war, dass sich die Kolonnen schnell zusammenführen ließen, wenn sie den Feind sichteten, was es Napoleon ermöglichte, eine überwältigende Truppenstärke zu konzentrieren.
    Auf dem Schlachtfeld ging Napoleon nach denselben Prinzipien vor. Da seine Männer nur selten raffinierte Linientaktiken ebenso gut ausführen konnten wie die Berufsarmeen alter Schule, verlangte er sie auch nicht von ihnen. Stattdessen beschossen Schwärme kleinerer Trupps die geordneten feindlichen Linien in Scharmützeln, während die französische Infanterie unter dem Sperrfeuer der Artillerie in ungeordneten Kolonnen vorwärtsstürmte. Sobald die Kolonnen sich dem Gegner näherten, konnten sie sich sehr schnell annähernd zu einer Linie formieren und ausreichend gute Salven abfeuern, wobei sie Präzision durch Masse ersetzten; oder sie stürmten weiter und rasten mit aufgepflanztem Bajonett in die feindlichen Linien. Regelmäßig warfen selbst Berufssoldaten lieber ihre Musketen weg und rannten davon, statt dem Sturm der Revolutionäre standzuhalten.
    Genau zu Zeit, als Kant Zum ewigen Frieden schrieb, schlitterte Frankreich – ohne große Überlegung – vom Volkskrieg im Namen der Revolution in einen Expansionskrieg zu ihrer Verbreitung. 1797 fegte Napoleon durch Norditalien, 1798 marschierte er in Ägypten ein, und im Dezember 1800 kamen Frankreichs Truppen kurz vor Wien zum Stehen. 1807, drei Jahre nach Kants Tod, nahm Napoleon dessen Heimatstadt Königsberg ein.
    Der Volkskrieg in Europa nahm einen völlig anderen Verlauf als sein amerikanisches Pendant. Nachdem die Briten 1781 bei Yorktown kapituliert hatten, schmiedeten die Amerikaner ihre Schwerter zu Pflugscharen. Die Revolutionsgeneräle gingen zurück auf ihre Farmen, und

Weitere Kostenlose Bücher