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Krieg – Wozu er gut ist

Krieg – Wozu er gut ist

Titel: Krieg – Wozu er gut ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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verzichten.
    Andere Europäer waren von der Amerikanischen Revolution zutiefst beeindruckt, allerdings mehr deswegen, weil ihre Protagonisten verkündeten, dass die neue Republik dem Krieg fortan entwachsen sei, als wegen der Art und Weise, wie diese gekämpft hatten. Selbst George Washington, der mehr über Gefechte wusste als die meisten seiner Zeitgenossen, hatte das Gefühl, einem französischen Korrespondenten erklären zu müssen, es sei an der Zeit, sich von fahrenden Rittern und wahnwitzigem Heldenmut zu verabschieden, da »die humanisierenden Vorzüge des Handels die Verschwendung des Krieges und die Eroberungswut ablösen werden; … wie es in der Heiligen Schrift heißt: ›Die Völker lernen die Kriegskunst nicht mehr‹.« 53
    Um die Mitte der 1790er Jahre hallten die literarischen Salons Europas von blumigen Darstellungen über einen Weltfrieden wider, die in vielen Fällen durch das amerikanische Beispiel inspiriert waren. Keine davon hatte ähnlich durchschlagende Wirkung wie Immanuel Kants kleine Schrift Zum ewigen Frieden . Kant war sicher der renommierteste Philosoph Europas und für seine genügsame Lebensweise (seine einzige Mahlzeit des Tages beendete er mit einem Lacher, aber nicht aus Vergnügen, wie er sagte, sondern weil es gut für die Verdauung war) nicht minder berühmt als für seine brillanten, dicht formulierten großen Werke (selbst Philosophen finden seine 800 Seiten starke Kritik der reinen Vernunft auf Anhieb schwer verdaulich). Zum ewigen Frieden aber ist weder karg noch undurchdringlich. Kant beginnt sein Werk sogar mit einem kleinen Scherz und erklärte, den Titel Zum ewigen Frieden habe er als »satyrische Ueberschrift auf dem Schilde eines holländischen Gastwirts, worauf ein Kirchhof gemalt war«, gefunden und für seine neueste Schrift übernommen. 54
    Doch ganz im Gegensatz zu diesem etwas schwarzen Humor lautete Kants Kernaussage, dass ewiger Frieden sehr wohl möglich sei, und zwar im Hier und Jetzt. Der Grund dafür, so erläuterte er, sei der »Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann«. Er ging davon aus, dass eine zugangsoffene Republik, was den Handel betrifft, besser dastehen müsse als eine »geschlossene« Monarchie: »Wenn … die Beystimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu bestimmen, ob ›Krieg seyn solle, oder nicht‹, so ist nichts natürlicher, als dass … sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen.« 55 Und er erklärte, dass ein Staat, der dem Krieg abschwöre, »um seiner Sicherheit willen, fordern kann und soll, mit ihm in eine, der bürgerlichen ähnliche, Verfassung zu treten, wo jedem sein Recht gesichert werden kann. Dies wäre ein Völkerbund.« 56 Es gäbe keinen Krieg mehr.
    Zum ewigen Frieden ist und bleibt von ungeheurem Einfluss, doch bereits zum Zeitpunkt seines Erscheinens war klar geworden, dass mit der Argumentation irgendetwas nicht stimmte. Weit davon entfernt, den ewigen Frieden einzuläuten, hat der Republikanismus Europa in den Krieg gestürzt.
    Es ist eine der größeren Ironien der Weltgeschichte des 18. Jahrhunderts, dass der Auslöser dafür die Militärhilfe war, die der französische König Ludwig XVI. den amerikanischen Revolutionären hatte zukommen lassen, um Großbritannien zu schwächen. Er hatte dafür beträchtliche Schulden gemacht und konnte 1789 die Zinsen nicht mehr bezahlen. Seine Bemühungen, Geld aufzutreiben, führten zu einer Revolte der heimischen Steuerzahler, die bald in Gewalt ausartete. Die französischen Revolutionäre schickten den König und Marie Antoinette zunächst ins Gefängnis und später zusammen mit 16   592 ihrer Mitbürger auf die Guillotine.
    Entsetzt schlossen sich Europas Großmächte zu einer großen Koalition zusammen, um den Status quo wiederherzustellen. Und 1793 bekamen es die Revolutionäre plötzlich mit der Angst und appellierten an das Volk, die Heuerlinge der Despotie auszumerzen. Nun warf sich »das ganze Volk mit seinem natürlichen Gewicht in die Wagschale«, schrieb Clausewitz. »Nun hatten die Mittel, welche angewandt, die Anstrengungen, welche aufgeboten werden konnten, keine bestimmte Grenze mehr, die Energie, mit welcher der Krieg selbst geführt werden konnte, hatte kein Gegengewicht mehr.« Eine Million Franzosen meldeten sich freiwillig.
    Kant hatte womöglich recht, dass Bürger von Republiken sich sehr genau überlegen würden, ob sie ein so schlimmes Spiel wie einen Krieg anzettelnwürden, wenn sie aber einmal

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